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Walter Strolz: „Einsichten“ Aufsätze aus fünf Jahrzehnten

Lesezeit: cirka 15 Minuten.

Vorarlberger Landesbibliothek. Präsentation 18. Februar 2014  Österr. Ges.f.Literatur

Sie hören jetzt, sehr geehrte Damen und Herren, über dieses Buch mit dem Titel „Einsichten –  Aufsätze aus fünf Jahrzehnten“ von Walter Strolz, den Bericht eines gewöhnlichen Lesers. Das heißt, eines nicht hauptberuflich dem Erforschen und Aussprechen unser aller Grundgegebenheiten und Letztwahrheiten obliegenden Menschen, also eines wie viele andere suchenden Zeitgenossen, der sich gerade so halbwegs der Anforderungen einer schier endlosen Alltagskette erwehrt, damit aber seiner dauernden Bedürftigkeit nach umfassendem Durchblick, treffendem Wortschatz, nach beglückendem Verstehen nicht entsprechen kann. Sie hören also meinen Erlebnisbericht im Sinn von lebenswichtiger Information, belebender Motivation, kurzum den Nachweis einer durchaus schicksalhaften Lektüre.

Im Vorwort Walter Methlagls wird schon folgendes von Walter Strolz 1989 hierzu benutzte Goethezitat aus 1819 genannt:

›Wer nicht von dreitausend Jahren Sich weiß Rechenschaft zu geben, Bleib im Dunkeln unerfahren, Mag von Tag zu Tage leben.‹

Damit wird das Angebot dieses Buchs gekennzeichnet. – Was jemandem so harmlos droht wie „in den Tag hineinzuleben“ kommt  freilich dem Verlust seiner Begabung und Bestimmung gleich, seiner Selbstbestimmung und Letztbestimmung, heißt Entseelung mit Entleibungsfolge. Hier von Philosophieren im Sinn leeren Theoretisierens zu reden, hieße bereits im „Dunklen unerfahren zu bleiben“ …

Allein die Namen, die Titel der Abhandlungen lösen ein Erinnern, ein Bewerten, ein Finden und Glauben aus, die beglückte Inbesitznahme der größten erwerbbaren Weltschau. Dies ist verbunden mit den angespannten Erwartungen, welche übergreifenden, einander bestätigenden und erhellenden Erkenntnisse der zugleich leidenschaftliche und präzise Denker Walter Strolz aus diesen Verbindungen zieht, welche riesigen Brücken und Türme er daraus baut, die zu beschreiten und ersteigen er uns in hinreißendem Stil einlädt: Platon, Newman, Kafka und die Musik. Hiobs Auflehnung gegen Gott. Jüdisch-christliche Anstöße im Atheismus von Ernst Bloch. Nietzsches prophetische Kritik des Christentums. Wittgenstein: Philosophie als Sprachkritik. Goethes versteckte Sprachphilosophie. Die Jahreszeiten in Hölderlins späten Gedichten. Prometheische Geduld nach Aischylos. Franz Michael Felders Religiosität und ihre heutige Bedeutung. Weltordnung als Gabe und Verantwortung. Shakespeares Kampf gegen die Zeit und den Tod. Naturverlust und Sprachverantwortung im Denken Heideggers. – Und wir werden nicht nur nicht enttäuscht, sondern im Gegenteil, überrascht, überwältigt von diesen klärenden Perspektiven: Nämlich wo wir uns finden können, fest stehen, Sicherheit gewinnen und Stärke im begründeten Wissen worum es geht. Denn das ist der Beitrag der Philosophie zu unserer Bewährung, ich wage es zu sagen: zu unserem Lebensglück. Walter Strolz verschafft uns so als Denker und Schriftsteller das Recht und die Fähigkeit, unseren Platz im Dasein selbst zu wählen und zu schaffen. Was gibt es Bedeutsameres?

Vernehmen Sie, welche Sätze und Schätze in diesem Buch darauf warten, von Ihnen gelesen und für immer zu Klarheit, Freiheit, Schutz und Schirm angenommen, mitgenommen zu werden: Hören Sie diesen aufleuchtenden Auftakt:

„Die Zeit ist die Gastgeberin der Menschheit in dieser Welt. Als Wohnort ist die Welt durch die Verlässlichkeit der Natur vorgegliedert, und durch die Sprache werden Sinnzusammenhänge offenkundig.“

Ähnlich programmatisch hierzu genannte Schwerpunkte:

»Rückkehr zum ursprünglichen Wesen der Natur als erster, erhabener Erscheinung des Seienden.- Sprache als Licht der Vernunft und der Offenbarung.- Seinsvertrauen als Urbedingung des Lebens“

Walter Strolz folgert mit und nach dem Natur- und Sprachdenker Goethe: „Wir müssen uns der Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis im Blick auf ihre nicht wissenschaftlichen Grundannahmen bewusster zu werden. Diese beziehen sich bei Goethe durchgehend auf Natur und Sprache – Wirklichkeiten, die ihrerseits wiederum zutiefst mit der Selbsterfahrung in ihrer hohen Unabschließbarkeit verwoben sind.

Für die sprachphilosophische Besinnung auf die anthropomorphistische Bindung der Sprache sind folgende herrlich gefugten Verse Goethes wie ein Geschenk:

„Das waren deine Worte. So war ich selbst nicht selbst, Und eine Gottheit sprach, Wenn ich zu reden wähnte, Und wähnt ich, eine Gottheit spreche, Sprach ich selbst.“

Strolz hierzu: „Das »mein« und »dein«, das Wechselspiel von Menschlichem und Gottheitlichem innerhalb der menschlichen Sprachbewegung ist wohl nie reiner ausgesprochen worden. Hier zeigt sich die … geschöpfliche Grunderfahrung, dass alles mit allem zusammenhängt und es deshalb weder eine »rein objektive«, vom jeweiligen Menschsein abgelöste, also freischwebende Naturerkenntnis noch eine »reine«, von der Natur getrennte Selbsterkenntnis gibt. Goethe ist der Anwalt und Interpret einer ungetrennten Existenz von universellem Beziehungsreichtum, seine furchtlos-ehrfürchtige Beziehungsfähigkeit ist ohne Beispiel in der Geschichte der Neuzeit.“

Der mit dem großen, 1976 verstorbenen Existenzphilosophen Martin Heidegger zusammenarbeitende Walter Strolz sagte in einem Vortrag: „Das Wunder, dass es die Welt, die Natur als erste Erscheinung des Seienden überhaupt gibt, bleibt der entscheidende Anstoß über das Sein nachzudenken. In dieses fundamentale Seinsverhältnis ist der Mensch selbst als ein durch Sprache ausgezeichnetes Wesen immer schon einbezogen.

Heidegger hat dieses die menschliche Existenz begründende, primäre Weltverhältnis in bewundernswürdiger Klarheit scharfsinnig herausgestellt. Dieses Immer-schon-in-der-Welt-Sein bedarf keines Beweises. Es ist eine menschliche Urerfahrung außerhalb des Gegensatzes von Subjekt und Objekt, Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Welt und Gott, Geist und Sprache. Im Weltphänomen ist das Unerforschliche rettend anwesend.“

Hiefür findet Strolz als in Innsbruck lebender Wanderer folgendes eingängige Bild:

„Ich blicke auf das Brandjoch, die höchste Erhebung der mächtig aufragenden Nordkette. Der Fels erscheint an einem klaren Tag in griffiger Form. Was ich sehe, ist das sich zeigende, von sich her anwesende Gebirgsmassiv. Es ist keine Vorstellung von mir, nicht die Idee des Berges, sondern der seiende Berg selbst in seiner ragenden Dauer. –

Goethe hat in seiner Art der Naturforschung zeitlebens darum gerungen, Hypothesen, Theorien, wissenschaftliche Terminologie im Umgang mit der Natur daraufhin zu prüfen, ob sie sich nicht …unbemerkt an die Stelle der Natur setzen und so wahre Erkenntnis behindern. So wird aus dem Urphänomen ein abgeleitetes, das einseitig nur dem rechnenden Denken ausgesetzt ist.“

Im Wittgenstein-Essay entwickelt Strolz die dieser Prophetie gemäße aktuelle Entsprechung:

Wittgensteinzitat: »Der ganzen Weltanschauung der Modernen liegt diese Täuschung zu Grunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien. So bleiben sie bei den ‹Naturgesetzen› als bei etwas Unantastbarem stehen…“ „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Strolz hierzu: „…Die Bemühungen um die Erkenntnis dessen treiben schon den Wittgenstein der frühen Tagebücher zum Mystischen… Das hängt nach ihm damit zusammen, dass die Wissenschaft unsere Wünsche nicht befriedigt. Sie ist eben nicht die einzig gültige Sprache… Ergänzt werden solche Einblicke in die sprachliche Seinsverfassung des Menschen durch Bemerkungen zur Anwesenheit des Unsagbaren, so wie es sich für Wittgenstein in Ethik und Religion zeigt.“ Wittgenstein: „Der Glaube zeigt sich nicht im Glauben von Annahmen, sondern dadurch, dass er das ganze Leben regelt.“ Die tiefe Frömmigkeit Wittgensteins zeigt sich in einem seiner letzten Sätze: „Es ist immer von Gnaden der Natur, wenn man etwas weiß.“ „In dieser schwerelosen Gelassenheit nahm Wittgenstein die Mitteilung seines unmittelbar bevorstehenden Todes auf: … ich habe ein wunderbares Leben gehabt.“

Mit singulärer Denkschärfe und Glaubenstiefe widmet sich Walter Strolz der existentiellen Frage nach der Religion, insbesondere in den großen Kapiteln über Hiob, Nietzsche und Broch. Walter Methlagl sagt im Vorwort: „Mich faszinierte, wie er seine tiefdringende Denkkraft für die Rechtfertigung des Christentums einzusetzen wusste.“

Für die abgründige Frage nach dem universellen unverschuldeten Leid und dem herzbrechenden Unrecht vertieft sich Walter Strolz ausführlich in die biblische Hiob-Erzählung, deren existentielle und theologische Relevanz gar nicht überschätzt werden kann: Strolz schreibt: „Hiob wagt sich so weit vor, als es menschliche Wahrhaftigkeit angesichts der Lage, in der sich der Mensch befindet, tun müsste: bis vor Gott, der alles vermag! Hiob trägt zwar nicht alles den Menschen Belastende und Entsetzende in Gott hinein, sondern in seiner elementaren Frömmigkeit erblickt Hiob alles, was geschieht, in einem unauflöslichen Zusammenhang mit dem Einen. Durch sein bohrendes Warum versucht er sich einen Weg durch die Nacht zu bahnen. Doch vermag er von Stunde zu Stunde immer weniger zu begreifen. Aber soviel Kraft ist Hiob gewährt, die Frage: »Laß` wissen mich, warum du mich befehdest«! ehern durchzuhalten.

Von Gott läßt er aber auch jetzt nicht. »Die Pfeile des Gewaltigen« stecken in ihm … Hiob ist entschlossen, weiter mit Gott zu rechten. »Töt er mich! Ich hoff auf nichts,

nur meinen Wandel verfecht ich vor ihm«.

Strolz hierzu: „Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir im Zeitalter der »Gottesfinsternis« leben, sondern die vorläufigere, ob wir bereit sind, auf die Verheißung zu hoffen, die in den Wurzeln unseres Fragens selber steckt.“ Er sagt: „Ernst Bloch ist recht zu geben, wenn er feststellt, dass, vom biblischen Buch Hiob aus gesehen, alle Harmonisierungsversuche zwischen Gott und Mensch erledigt sind. Das bezeugt Hiob in einer uns erschreckenden Wahrhaftigkeit. Aber der ganze Aufruhr gegen Gott und Hiobs Frage nach dem Recht und der Gerechtigkeit, seine Sehnsucht, von Gott angesprochen und von ihm erhört zu werden, bestätigen, dass sich der Rebell Gott gegenüber weiß – und sei es auch in großer Ferne und Dunkelheit –.“  „Was überbringen uns die Worte Jesu selber“, zitiert er Ernst Bloch: »Der ewige, von allem unterschiedene Rang der Menschenseele; die Kraft des Gutseins und des Gebets, das zutiefst begründete sittlich Gute als Saatkorn, als Lebensprinzip des Geistes; die Kunde von einer möglichen Erlösung durch Dienen untereinander, durch Hingebung, Zum-Andern-Werden, sich selbst erfüllen mit Liebe als dem Geist der Versammlung und der universalsten Selbstbegegnung; die Kunde vor allem vom neuen Äon einer bisher unbekannt gebliebenen Gottheit.« Diese stehe für die

vorwärtsweisende Dynamik der Hoffnung auf das noch nicht Gewordene …!“

Das Blochzitat endet so:  »Atheismus, der weiß, was das heißt, geht … mit ein für allemal weggefallener Gott-Hypostase, zu dem Unbedingten und totalen Hoffnungsinhalt, der unter dem Namen Gottes so wechselnd experimentiert worden ist.«

Sehr verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer: Ich verstand: Wenn Ernst Bloch zuletzt von Hiob sagt, dass er gerade fromm sei, indem er nicht glaube, – soll heißen nicht illusionär glaube -, dann belegt er so erst recht die religiöse Disposition. Ein Atheismus solcher Qualität ist keiner, bzw. genau jener, der in bester Religionsgeschichte als rechtgläubig verstanden wird. Sogar im Evangelium findet sich der um Heilung seines epileptischen Kindes Jesus anflehende Vater: „Herr: Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!“ (Mk, 9,24, von  Johann Sebastian Bach wundervoll vertont BWV 109) Und der Herr erhörte ihn bekanntlich! – Ich erinnere auch daran, dass die Christen im alten Rom ausdrücklich als „Atheisten“ beschimpft und verfolgt wurden, weil Christen eben genau die dort als Götter beweihräucherten unterrangigen Erscheinungen nicht als Gott anerkannten und verehrten. Avancierte Theologie lehrt uns, dass Gott alle, selbst die bestmeinenden sprachlichen Attribute übersteigt und nur demütiger Betrachtung, frommer Schau erschließbar ist. – Nietzsche kennt gemäß Zitat in diesem Buch nach aller Religions- und Kirchenkritik überhaupt „nur einen Christen, den nämlich, der am Kreuz starb! Er ergänzt freilich: Heute noch ist ein solches Leben möglich, für gewisse Menschen sogar notwendig: das echte, das ursprüngliche Christentum wird zu allen Zeiten möglich sein …«

Walter Strolz formuliert: „Wenn die Religionen ihr bestes, ihr nichtdualistisches Erbe mobilisieren, können und werden sie die immer vorläufig bleibende Weltordnung, notfalls auch durch geschichtskritischen Einspruch, offenhalten für die überzeitliche Bestimmung des Menschen im Kosmos.“ Und weiter: „Gewiss aber ist, dass der Tod dort wirklich herrscht, wo der Mensch gedächtnislos, des Andenkens beraubt, vom Sprachverfall durch unbenannte Gewalten bedroht, abgeschnitten ist vom lebenspendenden Wort.“ Ich wiederhole: Tod herrscht wo wir abgeschnitten sind vom Wort!  Abgeschnitten, entflohen, entfernt, entwöhnt …entmenscht …

Warum diese ungeheure Zuspitzung? Walter Strolz beweist es so:

„Die menschliche Sprache lebt in einem unaufhebbaren Bedingungsverhältnis: Einerseits ist sie auf die schon vorgegebenen Dinge angewiesen, anderseits aber erscheinen diese ihrerseits nur durch die Erhellungs- und Entdeckungskraft des Sprachlichtes in einem übergreifenden Sinnzusammenhang. Aber dieses Licht, das unterscheidende und verbindende Erkenntnis ermöglicht, ist… nicht über alle Dinge in gleicher Stärke und zur gleichen Zeit ausgegossen, sondern es ist, je nach Situation und Absicht einer Naturbegegnung, sprachlich je verschieden geprägt. Die Pluralität der Sprach- und Denkformen gehört konstitutiv zur Menschlichkeit des Menschen!“ Und weiter, verschärft: „Die mathematische Vermessung der Natur ist alles andere als ein harmloser Vorgang. – Verhängnisvoll beginnt sich diese Methodik dann auf das Verhältnis des Menschen zur Natur auszuwirken, wenn sie sich mit schnell wachsendem Abstraktionswillen zum Gerichtshof über die Dinge mit dem Losungswort aufwirft, wirklich sei nur, was gemessen werden könne!“

Im hierauf folgenden Aischylos-Essay findet sich der bezughabende Schluß daraus, dem allzu creativen Zeusbedränger, Feuerräuber und Zivilisationserfinder Prometheus auferlegt: „Welches Licht fällt auf die Tragik des an den Felsen geketteten Menschenfreundes Prometheus, dass er sich selbst trotz gewaltigem, weltveränderndem Eingriff nicht aus seiner Not befreien kann. Drängt sich an dieser Stelle nicht der Blick auf die Conditio humana auf, das heisst: Der Titan erkennt sich im erwachten, weltbildenden Menschsein, Menschliches spiegelt sich im titanischen Geschick. Durch Leiden lernen gilt für beide, unausweichlich und ohne beschwichtigenden Trost.“

Ich möchte an dieser exemplarischen Stelle für deren allgemeine Gültigkeit einen quasi aktuellen Beleg beisteuern: Der österreichische Dichter Hermann Broch, der immerhin 20 Jahre in Niederösterreich seine Textilfabrik geführt, im Schlichtungsamt, Arbeitsamt, Gewerbegericht gearbeitet sowie bahnbrechende soziale Neuerungen in seinem Betriebsort an der Triesting eingeführt hatte, sandte nach dem 2. Weltkrieg seinen Roman „Der Tod des Vergil“ an Albert Einstein. Dieser antwortete begeistert, aber auch selbstkritisch betroffen: „Dieses Buch zeigt mir deutlich, wovor ich geflohen bin, als ich mich mit Haut und Haar der Wissenschaft verschrieb: Flucht vom Ich und Wir in das Es…“ Diese packende Selbsterkenntnis der höchsten Wissenschaftsgestalt führt uns zur entscheidenden Einsicht: Diese Flucht vom Ich und Wir zum Es ist auf vulgärer Ebene überhaupt eine epochenspezifische Fehlleistung, ist eine letale Versuchung. Deshalb warnt der bekannte Wiener Physiker Herbert Pietschmann 2005:  „Wenn sogar das Ego zum Es wird, wird die Materie zur ausschließlichen Substanz öffentlicher Wirklichkeit.“

Es ist sicher, dass das hier zu würdigende Wirken des Walter Strolz und analoger Autoren und Institutionen dazu beitragen, dass unterschiedliche Disziplinen dieses mechanistische Modell zu überwinden im Begriff sind, wie etwa auch die rezente Metaökonomie, die ausdrücklich für ihre Wissenschaft Elemente der Moralphilosophie, Psychologie, Anthropologie, Soziologie einfordert, wodurch die metaökonomische Einwirkung über die Grenzen der allzu simplen und kurzfristigen Gewinnmaximierung und nur individueller Rationalität hinausgeht. – Die Stoßrichtung ist deutlich.

Die letzten monothematischen Gedichte Hölderlins aus dessen 36 Jahre währender  Umnachtung – oder müssen wir nicht eigentlich sagen Umstrahlung? Überglänzung? – werden von Walter Strolz so ausgelegt: Die Natur selbst in aller Reinheit und Klarheit tritt uns entgegen, nicht mehr eingeengt und verzerrt von menschlichen Festlegungen und Vorurteilen. Und er belegt dies u.a. mit folgendem späten Hölderin-Gedicht:

 

»Das Erndtefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indeß am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert.
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.

 

Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.

 

Mit neuen Farben ist geschmükt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.
«

Strolz erreicht in der Auslegung dieser Gedichte die strahlendste Aufrichtung und Ausbreitung seiner Philosophie, die durchgehend eine diskret religiös konnotierte Sprachphilosophie ist.

Ich beschließe die Buchexzerpte mit der schönsten Findung hierzu aus Walter Strolz` Hölderin-Essay. Hölderlin: »Was ist Gott?«, „ … unbekannt, dennoch Voll Eigenschaften ist das Angesicht Des Himmels von ihm.«

Sehr geehrte Damen und Herren:

Spräche ich drei Stunden, ich könnte die Leistungen des Walter Strolz für uns Zeitgenossen und Mitmenschen nicht genug würdigen: Er steht für uns auf der vordersten Linie des Pfades zu einer guten Zukunft der Menschheit. Mehr noch, dort, wo er arbeitet und forscht, gibt es noch gar keinen Weg, er hackt sich in immer neuen Anläufen erst den Raum für den nächsten Schritt, die nächste Erkenntnis, den nächsten Ausblick, das nächste Gebot. Werkzeug und Gerätschaft, Lot und Maßstab trägt er in dieser Anstrengung immer mit sich, wendet die besten Wissensschätze an, schärft sie, verknüpft, überhöht sie damit zur von ihm angestrebten höchsten Wirkung. Er ruft uns zu nachzukommen und zeigt uns die freigelegte Lichtung und Richtung. Ein Mensch, der so lebt, so arbeitet, so opfert, seine Lebenszeit, seine Bequemlichkeit opfert, seine unangreifbare Anonymität preisgibt: Er wirkt exemplarisch stellvertretend für uns, für unsere Interessen, unsere fähigere Intelligenz, für unsere Wertung, unsere Erhöhung. Dieses Lebenswerk zeigt damit einen jesuanischen Gestus, diese Grundhaltung jeglicher Vollhingabe für einen altruistischen Auftrag. Indem Professor Dr. Walter Strolz ein ganzes schweres Leben lang diese Leistungen erbracht hat, wirkte er weit über den uns überschaubaren Rezeptionsrahmen hinaus in die allgemeine Kultur hinein, von der jetzt und künftig unser Dasein nicht nur geprägt wird, sondern schlechterdings abhängt. Mehr kann man für seine Arbeit nicht beanspruchen und für weniger können wir ihm heute nicht danken.

Vor vielen Jahren hat mich eine kleine Nachricht tief beeindruckt und seither wiederholt beschäftigt: „Die Ungeduldigen haben die vernachlässigte Goldmine verlassen, ehe sie die Goldader fanden.“ Erschrocken höre ich da heraus:  Ungeduld, Untugend, Unglauben, lebenslängliche Themenverfehlung:  „Die Ungeduldigen haben die vernachlässigte Goldmine verlassen, ehe sie die Goldader fanden.“ Hier in diesen 346 Seiten ist die Goldader. Vernachlässigen wir sie nicht! Sie ist wahrhaft auffindbar.

 

Matthias Mander