Vorwort zu „oid und grantich“ von Edith Haider
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Red` wos, damidi di seegn kau!
Obigem Imperativ des Sokrates – „Rede, damit ich dich sehe!“ – ist die Verfasserin des vorliegenden Bandes „oid und grantich“, Frau Edith Haider, gründlich gefolgt. In diesem Buch werden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, einer Dichterin voll ansichtig, einer – wie man hierzulande sagt – „gestandenen Frau“, eines unablässig schauenden, denkenden, redenden Menschen. Edith Haider besuchte in Pöchlarn, St.Pölten, Wien die Schulen, bewältigt ein erfülltes Frauenleben, ist Ehefrau und Mutter dreier Kinder, und hat etwa folgende Werke verfasst: „Da Fux und da Rob – La Fontaine-Fabeln im Dialekt“; „Wauni haamfoa, Wiener Mundartgedichte“ mit einem Vorwort von Peter Wehle; in Hochdeutsch „Sicht des Vergehens“; „Der Tag diktiert die Parole“; „… ein einziger Schrei, Mauthausengedichte“; „Guckuck – oder die Kreise der Menschlichkeit“; „Das Kleid aus Crêpe Satin“; „Unbesorgt bin ich gewandert“. Zu ihrem achten Lebensjahrzehnt legt sie uns hiermit als reiche Ernte von gutmütiger Klugheit und (Selbst-)Ironie ihre Betrachtungen „oid und grantich“ ans Herz. Jawohl: Ans Herz! Denn was wir zu sehen bekommen, bringt großen inneren Gewinn. Alle diese beglückenden „Aha – Erlebnisse“ beflügeln unsere Wissenslust. Unsere Selbsterkenntnis. Also die eigentliche, die wahre Erkenntnis. Edith Haider hat geredet – und wir sehen!
Es ist ja nicht so, dass es nur e i n e Welt gäbe, die man in unterschiedlichen Sprachen mehr oder weniger zutreffend beschreiben könnte. Sondern es gibt so viele Welten, wie es Sprachen, Literaturen, Dialekte, Sprechende, Schreibende, Stile gibt. Und das Buch, das Sie, sehr geehrte Leserinnen und Leser, nun in der Hand haben, erschließt eine eigene, eine einzigartige Welt, deren Kenntnis Ihren Wirklichkeitsbesitz, Ihre Bewährungsfähigkeit steigert. Wieso das? Weil Ihnen hier tiefe Einblicke voll feinster Unterscheidungskraft geschenkt werden, die überhaupt nur in solcher Mundart erschließbar sind: Beobachtungsreichtum, allerpersönlichste Gefühle und Gedanken, erstaunliche Erlebnisse und Schlüsse.
Die Dichterin, die uns neuerlich ein solches Geschenk macht, verfügt nicht nur über das ganz eigene Empfinden für einen Charakter von der besonderen regionalen Sprachführung ihres „lyrischen Ichs“, sondern auch über dessen unablässig strömenden Zufluss winzigster Geschehnisse, die diese urwienerischen Realitätskonstrukte auslösen. O ja, genau so, wie Sie es nun Seite für Seite authentisch erkunden können, funktioniert dieses Lebensgefühl der unverstellten, unverbildeten Donaustädter: Scharfsinniges, scharfäugiges, scharfzüngiges Belauern eines nur mit Witz – das heißt hier freilich „Schmäh“ – erschaffbaren und fassbaren, (um das virulente und zugleich sensible Ich rotierenden) Universums.
Freilich, die folgenden Seiten „lesen“ Sie nicht einfach, Sie müssen Sie „erkunden“. Denn ein bestimmendes Mittel ihrer Entfaltung ist deren eigene „Rechtschreibung“, also die privateste Privatorthographie als öffentlichste Offenbarung. Solche Erkenntnisse stimmen nur in dieser Form: „Scherondoloschi“, „Lemsiwadruss“, „Oitaseindrocht“ „Kaumbfschbuat“, „Vuraunung“, Senjo`anfoat“, „Schbeisesoi“, „Unvarendat“ ist eben wirklich ganz etwas anderes als Gerontologie, Lebensüberdruss, Alterseintracht, Kampfsport, Vorahnung, Seniorenfahrt, Speisesaal, Unverändert.
Edith Haider schaut nicht nur ihren Mitmenschen „aufs Maul“, nein, sie taucht in deren geheimste Empfindungstiefen hinunter, erfasst und erschafft die Alltagsgeschehnisse aus der schöpferisch geschauten widerspruchsvollen – nämlich zugleich zwanghaft überlegenen und gutmütig hilflosen – gequetschten Gewordenheit solchen hiesigen Daseins. Und worin besteht der umwerfende Witz? Im erhellenden Begreifen, warum diese „Rechtschreibung“, in der aus allen „harten“ Mitlauten „weiche“ werden müssen, – aus K wird G, aus T wird D, aus P wird B usw. – haargenau die Wiener Seele bloßlegt. Und in der Mischung aus Rührseligkeit und Beinhärte, mit der diese hintersinnigen Gedankensprünge ablaufen.
Soeben erschien des Wiener Sprachforsches Robert Sedlaczek „Wörterbuch der Alltagssprache“, Haymonverlag 2011, über das er berichtet, dass er für seine Belegstellen die Programme der Kabarettisten durchforstet habe. Diese Texte, sagt Selaczek, „veralten nicht…, sind auch nach Jahrzehnten noch stimmig, …man kann sie auch heute noch mit Genuss hören.“ Wie zutreffend! Und genau so wird es den Gedichten Edith Haiders ergehen: Sie bleiben für immer stimmig, weil sie wahr sind. Denn genau so funktioniert das Hirn einer solchen Figur, die aus dem Buch „oid und grantich“ spricht, nein, keppelt, räsoniert, meckert, raunzt, schluchzt, schmeichelt.
Seit vielen Jahren veranstalte ich im Kulturzentrum der Stadt Gerasdorf bei Wien, im Schloss Seyring, Literaturabende. Zweimal war schon Edith Haider Vortragende. Aber nicht über ihre Riesenerfolge vor verständigem und dankbarem Publikum will ich hier berichten, sondern über einen winzigen Vorfall, den sie selbst wahrscheinlich längst vergessen hat: Als sie einmal mit ihrem Mann als Zuhörerin nach Seyring gekommen war, begrüßte ich übermütig einen damals vorzustellenden Romanautor mit der würdigenden Bemerkung, wie viel mehr an Arbeit er in seine große Prosa gesteckt habe, als etwa ein Gedicht erfordere, das ja in ein paar Minuten hingeschrieben sei… Da ertönte aus den Sitzreihen Edith Haiders empörte Stimme: Sie widerlegte diese Unterstellung völlig zutreffend, charmant brutal: Bevor ein Gedicht stimmig ist, braucht es viele Stunden der Betrachtung, Abwägung, Wortwahl. – Ja, dreimal Ja: Edith Haider hat recht. Sie behält recht. Und sie tut recht.
Betrachten wir kurz folgendes kurze Gedicht, eines von drei Fliegengedichten dieses Bandes (weshalb ich versucht war, diesem Vorwort den Titel zu geben: „Die Fliegen, aber nicht jene von J.P.Sartre“, denn in dessen gleichnamigem Drama verkörpern die Fliegen abzuschüttelnde Gewissensbisse, wogegen hier bei Edith Haider die Fliegen für das beständige Ringen mit dem ewig zudringlichen Sein stehen):
Ogtowafliagn
In Fruajoa
howis vajaukt,
in Summa
howis daschlogn,
owa in Ogtowa,
wauns a so oamsöölich
umanaudagreun,
ded is am liabstn
zum Diaoazt drogn.
Außer dem „zum“ der letzten Zeile gibt es hier kein hochdeutsch korrektes Wort. Aber jedes privatorthographische Gebilde bietet einen packenden, hinreißend stimmigen Einblick in die Wiener Seele, wie er anders nicht zu gewinnen wäre: Diese maulfaule Redseligkeit („Ogtowafliagn“), die aus dem K ein G, aus dem BER ein WA, aus GE ein GN macht; aus „habe ich sie“ wird die Ein-Wort-Chiffre „howis“; „armselig“ heißt aus solcher Tiefe selbstverständlich „oamsöölich“ und zeigt ergreifend die darzustellende Todesschwäche des Insekts. Und der Tierarzt zum Schluss mutiert wahrheitsgetreu zum teigigen Wohltäter, der sich mit weichem D und ohne jedes R mitleidig über seine sprachlosen Patienten beugt… Überhaupt: Die überwältigend abgründig wienerische Kaskade dieses lyrischen Ichs vom „vajauken“ übers „daschlogn“ bis zum posthum rhetorisch potentiell lebensrettenden „drogn“ könnte treffender nicht skizziert sein… Wiakli woa, genauaso isses, genauaso saans olle midanaunda.
Ich lade Sie ein, liebe Leserinnen und Leser, alle die meisterhaften Texte dieses Bandes etwa so zu untersuchen, damit Sie in den Genuss jenes Sehens kommen, das uns Sokrates mit seiner Aufforderung zu reden vermittelt und erschlossen hat: Edith Haider hat wahrhaft laut und deutlich geredet. Danke!
Nach meiner begeisternden Lektüre von „oid und grantich“ fühlte ich mich erstmals gedrängt, meine Hochachtung für die Dichterin in deren Redeweise erfassen und verfassen zu wollen, hier mein Imitat:
Reschbegt!
Ollaweu howis fira schdochliche Distl ghoitn,
a stechate Staudn eem.
Owa jezt, wori dera ia Büachl schdudiart hob,
jezt bin i schtaad:
De kennt jo tausnd Sochn,
wori glaubt hob, de waas nuri alaa.
De waas aafoch ois!
Ois, wos si draust ooschbüüd und erst recht im
haamlichn Innanlem.
De Distl is jo a gaunza echta
grossa Blumangoatn!
Jezt bin i schtaad:
A bozzn Dichdarin, a gaunz a bsundare!
Matthias Mander