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Vom Lesen der Bilder – Herbert Pauli Kurztexte mit Bildern von Hermann Härtel

Lesezeit: ungefähr 3 Minuten.

Vom Erkennen des Zuträglichen

 

Eine wahrhaft bibliophile Ausgabe mit künstlerisch inspirierendem Schuber: Das sorgfältig edierte Buch in schönstem Druck auf exquisit eingefalteten Seiten, beim Aufschlagen die leuchtenden Graphiken präsentierend, bietet es 34 ebenso literarisch präzise, hoch ästhetische wie philosophisch tiefgehende Texte, jeder Abschnitt etwa eineinhalb bis zwei Buchseiten groß.

Die Überschriften beginnen stets mit dem Wörtchen „Vom“, also etwa „Vom Fließen der Bilder“, „Vom Fallen des Regens“, „Vom Schweben der Zeit“, „Vom Trauern der Hasen“, „Vom Schließen der Augen“. Die Leserin, der Leser werden auf viele erstaunliche Sätze und Erkenntnisse treffen. Erstaunlich, weil sie ihr eigenes Innenleben abgebildet, abgehorcht wiederfinden als Bestätigung dafür, dass es für ihr eigenstes, innerstes Innenleben tatsächlich eine Sprache gibt. Der Dichter Herbert Pauli schenkt der Leserin, dem Leser das wahre Gewicht, den vollen Wert von deren Seele. Einige Beispiele für solche singuläre Wortwendungen: „Musik … in einem Meer von Gedanken… die zur Tat drängen … zum Schreiben…“ („Vom Suchen des Schreibers“ S. 10) „Du hast den Begriff… als Ganzes erfasst, ihn … hinter den Augen, aber er zerrinnt dir vom Hirn in den Mund. Du suchst zur Form den Inhalt… die Linie vom Begriff zum Wort … Inhalt und Form verwoben, ein Bild, greifbar und erfahrbar, begehbar und tragbar.“ („Vom Finden der Wörter“ S. 14) „Die Forelle erwischt springend die Mücke noch vor dem Vogel. …Ich stehe im Fluss der Bilder.“( „Vom Fließen der Bilder“ S. 18) „Die Schwellen verschwimmen in der Geschwindigkeit des Zuges zur geschlossenen Fläche, so wie einzelne Erlebnisse im Lauf der Zeit zu einem Leben verschmelzen.“ („Vom Fahren im letzten Waggon“ S. 26) „Im Grunde genommen lebt jeder den Traum von seinem Leben … Bruchstücke des nächtlichen Traumes tauchen tagsüber wieder auf. Wie Luftblasen vom Grund eines Teiches … kurz auf der Wasseroberfläche wahrnehmbar, ehe sie mit dem Tagesgeschehen verschwimmen.“ („Vom Haben der Träume“ S. 30) „Vorbeifahrende Autos zischen über den Asphalt. Tschinellen im Regenorchester.“ („Vom Fallen des Regens“ S. 34) „Ich schaue dem Schatten nach. Dem Ballonschatten auf der Erde. Wie er gemächlich über den Boden wandert, einen Hügel überwindet, auf dem Wasser geht … kein Abgrund zu tief.“ (Vom Fahren mit dem Ballon“ S. 42) „Wolkenfiguren … die Ähnlichkeit mit Menschen, die es tatsächlich im Bekanntenkreis gibt.“ („Vom Liegen in der Wiese“ S. 58) „Die Häuser wandern vornübergebeugt mit dunklen Hüten.“ („Vom Schweben der Zeit“ S.62) „Schwalben wie kleine Boote knapp über dem Getreidemeer.“ („Vom Verändern der Felder“ S. 126) „Die Bilder bleiben uns treu … Unendlichkeit in diesem Kopf-All.“ („Vom Schließen der Augen“ S. 138) „Die Musik beginnt und mit einem Mal steigen dir Tränen in die Augen.“ („Vom Hören der Lieder“ S. 46)

Dieser letzte Text endet mit der Aussage „Die Tränen kommen manchmal bei musikalischen Harmonien“. Wie genau beobachtet, wie wahr und allgemein gültig! Jeder trägt die Gewissheit möglicher Harmonie in sich, doch jeder erfährt, dass diese in dem ihm zugewiesenen, zugemuteten Leben unerreichbar bleibt – real wirksam bleibend freilich in der Herz zerreißenden Ahnung von Harmonie. Solche Prosa, Suprapoesie eines Dauerdenkers, enthält ebensoviel Information wie ein wissenschaftliches Sachbuch, hinsichtlich persönlicher Bedeutung jedoch ein Vielfaches.

Unwillkürlich vergleiche ich die Folgen einer Stunde des Lesens und Betrachtens dieses besonderen Buchs mit einer Stunde täglichen Zeitunglesens: Eine Woche später kann ich keine einzige Nachricht mehr aus dem genossenen Medienbrei als für mich wichtig, auf mich zutreffend benennen. Ganz anders Pauli und Härtel: Die scheinbar so unaktuellen Wahrnehmungen und Feststellungen, die erleuchtenden Bilder dazu, sind wertvoller, bleibender Besitz geworden. Ich wünsche ganz vielen Mitmenschen dieses Glück, das ich in der Überschrift benenne: Vom Erkennen des Zuträglichen …

 

Matthias Mander

 

Vom Lesen der Bilder

Herbert Pauli Kurztexte mit Bildern von Hermann Härtel

Literaturedition Niederösterreich 2013    136 Seiten

ISBN 978-3-902717-19-1             20 Euro