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Ilse Pauls – Worte am Weg

Lesezeit: cirka 4 Minuten.

Die Dichterin und Malerin Ilse Pauls lernte ich vor über 20 Jahren auf der winterlichen Rosatinalpe bei Turrach kennen: Sie war damals mit Mann und Kindern auf jener Berghütte, wo ich mich mit zwei meiner Buben aufhielt und für den 1993 erschienenen Roman „Cilia oder der Irrgast“ recherchierte. Ich musste damals als 60-jähriger erst Skifahren lernen und bekam von der freundlichen Familie Pauls den Rat: „Sie dürfen nicht ständig gebückt auf die Skispitzen schauen, sondern müssen, während Sie über den Schnee gleiten, aufgerichtet über die fernen Landschaften zu Tal blicken und die Welt umarmen!“ Dieser Zuspruch blieb mir unvergesslich, nicht nur wegen seines treffenden Inhalts, sondern auch wegen der Menschen, denen ich ihn verdanke: Er ist kennzeichnend für sie und ihre liebevolle Lebenssicht.

1993 erschien Ilse Pauls erster Lyrikband, „Der innere See“; 1997 „Späte Ernte“ (sie war damals 56); gefolgt 2001 von „Stille Stunden“; 2005 von „Auf dem Weg“; 2007 von „Geschenkte Stunden“. (Beziehbar unter Ilse.pauls@chello.at) Und soeben erschien der Titel „Worte am Weg“, der hier besprochen wird, Gedichte, Gebete, Bilder. – Schon die Buchtitel zeigen die nachdenkliche, gewissenhafte, fürsorgliche, einfühlsame Haltung Ilse Pauls. Nach der Matura erwarb sie das Diplom für Kinderkrankenpflege, übte diesen Beruf bis zur eigenen Familiengründung aus, wurde vierfache Mutter. Seit ihrem 15. Lebensjahr schreibt sie Gedichte, „um in vielen Lebenssituationen den Sinn zu finden.“ Ja, das gelingt der stillen, ernsthaften, gewissenhaften Frau:  „Der Engel von San Giorgio in Venedig: Deinen Platz auf dem Turm / hast du verlassen … / das Schwert ist dir entfallen … / nur in der Rüstung der Liebe / willst du die Stadt beschützen.“ (S. 68, Aquarell S. 69!) „Der Verkündigungsengel von Regensburg: Im Dunkel der Kirche schwer zu sehen – / bis sich das Auge gewöhnt hat. / Ein junger Mann / mit lockigem Haar, / mit bäuerlichem Gesicht … / Er lacht! …/ Er sollte Freuden-Engel heißen.“  (S. 70) „Der Sehnsuchtsmensch / springt auf Dächer, / klettert auf Bäume… / Die Sehnsucht, / zu sehen / und zugleich von Ihm / angesehen zu werden, / erfüllt sich in einem Augenblick.“ (S. 52) „… in der Via Amore verweilen, / im roten Weinglas / das Licht feiern, / das uns durchdrungen hat.“  (S. 46)

Tatsächlich: Wie Rosemarie Schulak richtig im Geleitwort ausführt, haftet den Gedichten Ilse Pauls nichts Artifizielles an, sondern jeder Satz verrät die Spuren lang und redlich ausgeschrittener Wege.  „Waldwegwurzelgeflecht / Stolpergefahr / um langsamer zu sein / behutsamer zu werden – / auch im Denken und Handeln.“ (S. 34)

„Alte Wege / schwerfüßig gehen / wo mich keiner mehr kennt … / alter Baum / hat auf mich gewartet …“ (S. 29) „Stehen / musst du von  den Bäumen lernen, / das Feststehen …“ (S.19) „Glockenblume: Blick in die Tiefe des Kelches – /zarte Fäden, /  zerbrechlich, / vibrieren im Wind, / blaues Geläute …“(S. 37) „Blattgrün / Insektengesumm / Obstgeruch / Apfelbaumtraum“ (S. 38) „Die Rosen vergingen / und dufteten, / obwohl sie es lange schon wussten …“ (S. 41)

Der überlieferte Religionsschatz bietet eine ganz feine Landkarte der inneren Wirklichkeiten voll klar eingezeichneten Straßen, Pfaden, Steigen, Gabelungen, Kreuzungen, Verweisen. Dass Ilse Pauls dieses Universum bewohnt und beforscht, kommt uns durch ihre Dichtung zugute. Denn nicht fromme Einfalt, sondern sorgsam erworbenes Wissen, Erlösungswissen, vermittelt sie uns, wie es viele lyrische Wendungen beweisen: „In der kalten Winternacht / gegen das Dunkel ansingen / und wissen, / dass du nicht allein … glaubst …“  (S. 67) „Oft auf Reisen gewesen … / Pilgerwege gegangen, / Gott überall gesucht, / endlich IHN gefunden. / Für immer.“ (S. 54) „Zum Tod einer Freundin: … Noch lernen von dir … / Weiterleben – / bis zum Wiedersehen …“  (S. 62) „Mein Leben wird zu kurz sein, / um die Geheimnisse der Engel zu erforschen, / … aber es wird lang genug sein, / um an das Sein der Engel zu glauben …“ (S. 11) „Absichtsloses Hören / im Gemurmel der Zeit.“ (S. 35)

Im Blick auf diese jahrzehntelang in ihrer Berechenbarkeit, Verlässlichkeit, Menschlichkeit gleichbleibende Frau nehme ich unwillkürlich innerlich Haltung an. Achtung und Furchtlosigkeit, ja Zutrauen erfüllen mich: Von diesem guten Menschen droht keine Unbill, sondern im Gegenteil, Bergung: „Mein Enkelkind: Ganz unvermutet / hat sich die Kinderhand / so im Gehen / in meine Hand geschmiegt, / Kleine Geste, / großes Geschenk …“(S. 25) „Mein Enkelkind sehen / als ein kleines Mädchen / auf der Seilschaukel, / glückselig / alleine schaukeln / im Abendlicht …“ (S. 26) „Sanduhr meines Lebens – / noch halb gefüllt – / oder schon letzte Körner, / die rieseln?“ (S. 20)

„Eine Insel sein / im weiten  Ozean / im Westen eine Felswand, / an der alles abprallen kann – / Wellen, Wasser, Blitze, Stürme. / Im Osten jedoch weicher Sand, / flaches Ufer, / türkisblaues Wasser, / ruhige See – /Frieden.“ (S. 15) „Löchriges Nest / unserer Liebe / windzerzaust / Stückwerk … /Füll es neu / mit aufmunterndem Lächeln …“

(S.22)

 

Matthias Mander

 

Worte am Weg

Gedichte und Aquarelle

2013 Wolfgang Hager Verlag

ISBN 978-3-902879-58-5