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Hans Bäck – Lautsprecher in den Bäumen

Lesezeit: ungefähr 5 Minuten.

Roman

253 Seiten

Euro 17,50

 

Kulturmaschinen Verlag

Berlin

ISBN 978-3-940274-31-1

 

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Ein Titel für diese Rezension könnte etwa lauten: Vom Stahlbad zwischen Vivaldi und Canaletto oder das Beginnen neuer Vergangenheiten*) mit Celia, Anna und Irina… – ein Prachtroman des Siebzigers, Ästheten und Organisators Hans Bäck aus Kapfenberg

*) S. 41

Wenn ein derart erfahrener Herr sein erstes Prosabuch veröffentlicht, können seine Leser erwarten, dass der Roman bietet, was diese Literaturgattung erfordert: Pralle Fülle des Seins. Und sie werden nicht enttäuscht. Es ist alles da in kräftig strömender Breite. „Lautsprecher in den Bäumen“ enthält

1. Welthältigkeit (Weltmännlichkeit)

2. Wirtschaftswissen (Stahlwerk – Berater- Erfahrung) 40% des Textes

3. Kulturbildung (Kunstverstand)

4. Landschafts- und Stadtimpressionen

5. Frauenliebe und – probleme (40% des Textes)

6. Feinbeobachtungsblick, meditative Introspektion

7. Lebensfreude und – genuss

 

Dieses Werk – obwohl souverän geschrieben – bietet alle Genüsse eines Debütromans: Jedes Thema ist vollständig und ausgefeilt abgehandelt, nichts bleibt ausgespart oder verallgemeinernden Hinweisen überlassen. Und: Hans Bäcks Prosabuch schenkt auch viele schöne Lyrismen.

Aus den unter 4. und 6. erwähnten Schilderungen seien hervorgehoben: Eine russische 200.000 – Einwohner – Industriestadt am Fuß des Ural (S. 16 ff); deren winterliches Markttreiben (S. 170 ff!); orthodoxe Weihnachtsliturgie (S. 190 ff!!); kleinbürgerliche steirische Eisenbahnersiedlung samt hölzernem Wochenendhäuschen (S. 44 ff); Sonntagabend – Corso im Centro storico von Chioggia (S. 68 ff!); Venedigaufenthalte (S. 106 ff); Hochschwab – Besteigung (S. 129 ff!); intime Erinnerungen (S. 89 mit Titelmetapher, S. 114, S. 119, S. 249); sowjetischer Verbannungsort in Tadschikistan (S. 174 ff); Michelangelos Pièta Rondandini in Mailands Castello Sforzesco (S. 182, 183!!); Personal, Atmosphäre und Vokabular in Existenz entscheidenden Industriekonferenzen (z.B. S. 199 bis 218!).

Hier einige Textproben aus den 253 Romanseiten:

Am Boden lag der Schmutz knöcheltief, die Luft war voll mit Staubpartikeln. Die Elektroden der Öfen brüllten im Stahlbad, die Kräne, welche die Kokillen zu den Gießplätzen brachten, kreischten, einer aus der Gießcrew im silbrig glänzenden Schutzanzug wies eine Kranführerin ein.“ (S. 22)

Sie folgten dem Produktionsablauf und kamen in die Walzwerke, in denen die Arbeiter die glühenden Stahlschlangen abfingen und in die nächste Kalibrierung brachten; immer dünner, immer länger wurde die Schlange, langsam verfärbte sie sich, vom hellen Rot immer dunkler… wurde zu Rund- oder Flachstählen, zu Blechen, dünnen Drähten.“ (S. 24) „Ich will in einer Woche eine neue Kantine sehen und wir werden alle dort essen, auch der Herr Generaldirektor.“ (S. 25)

Wegrationalisierte Arbeitsplätze seien nicht unbedingt verlorene Arbeitsplätze. (S. 72) – „In Zukunft wäre es eine Aufgabe…, die verborgenen Begabungen der Mitarbeiter zu erkennen und für das Werk nutzbar zu machen.“ (S. 75)

„…soll unser Werk wirklich geschleift werden? Wovon werden die Menschen in unserer Stadt dann leben? Wir hoffen sehr auf Sie!“ (S.105) „Überlegen wir gemeinsam: Was ist die Aufgabe des Werkes, was soll in der Zukunft für eine Stellung am Markt eingenommen werden, in der Stadt?“ (S. 134)

Wir waren überzeugte Marxisten, wir hatten bloß damit Schwierigkeiten, dass die Nomenklatura Privilegien beanspruchte, für die wir kein Verständnis hatten… 1975, damals, als Sacharow den Friedensnobelpreis nicht entgegennehmen durfte… Das trieb uns junge Absolventen… scharenweise in sein Komitee der Menschenrechte.“ (S. 174) „In allen Betrieben mit Warmarbeitsgängen wie Walzen, Schmieden, Wärmebehandeln haben wir für Maßnahmen gesetzt, um die Abwärme zu nutzen. Sie wird jetzt für Stromerzeugung, Beheizung, Warmwasserbereitung und Ähnliches verwendet. Es gibt bereits Überlegungen…Abwärme an die Stadt als Fernwärme zu verkaufen… Ergebnisverbesserung von…20 Prozent…“ (S. 209)

„…handschriftliche Ergänzung des Ministers: `Ihr habt sehr gute Arbeit geleistet…`“ (S. 233)

Nun saß er im Kaffeehaus, sann den Rauchschwaden seiner Pfeife nach. Wie die Wolken im Sog des Ventilators, so hatte er Celia verloren.“ (S.48)

Was sich alles in unserer Ehe angesammelt hatte, kam in mir hoch… In meiner Ungerechtigkeit wurde die Liste länger und länger.“ „Anna, Sie sind eine

schwierige Frau“… (S. 50) „Bei ihrer Beerdigung sollte man die Schlussmusik aus der Traviata spielen, das wollte sie testamentarisch verfügen.“ (S. 184)

`Wie schön das ist`, flüsterte Irina, `die Freude ist den Menschen, die da gehen, anzusehen`… Irina trank Prosecco und erzählte, wie sie mit ihrem Honorar…nach Italien geflogen war.“ (S. 247) „Vielleicht bin ich nicht dafür geschaffen, jemals eine Frau an mich zu binden…“ (S. 251)

Andreas war kein Kunsthistoriker, er besuchte Ausstellungen und Museen, war bei Vernissagen manchmal dabei. Er hatte Freude an einem Tiepolo, Tizian, Rubens, Klee, Picasso, oder Dali. Moderne Maler interessierten ihn. Eine Ausstellung in Köln mit Werken von Andy Warhol hatte ihn begeistert, aber mehr als an der Malerei hing sein Herz am Theater, an der Musik. Lieber besuchte er Konzerte oder Opernaufführungen.“ (S. 28) „Die Technik des Herrn Giovanni Antonio Canal(etto) wurde für Andreas immer reizvoller.“ (S. 32) „Es kam ihm vor, als sei das Licht in den Stein eingedrungen und bringe ihn von innen her zum Leuchten. Auch die übrigen Farben, das Weiß der Engelskleider, das Blau des Himmels, das Grün der Landschaft im Hintergrund waren von diesem Leuchten erfasst.“ (S. 56)

Die Aussicht auf Kirchen, Wasser, Paläste, das genügte ihm. Er würde Zeit haben, ins Theater zu gehen, Musik zu hören, fremde Frauen zu treffen, neue Bücher zu lesen. Er freute sich auf diese paar Tage ohne…Terminkalender.“ (S.108)

In der Frari, beim Tizianbild, bei der Auffahrt Marias in den Himmel fanden sie, was sie suchten. Sie schauten, staunten, saßen in der kühlen Kirche, alles versank, das Bild wurde größer, nahm die Kirche ein, nahm sie mit, sie wurden Teil des Bildes, Teil der Himmelfahrt, Teil der Geschichte, die sie suchten. Ascendit!“ (S. 115)

Andreas erreichte das Gipfelkreuz, lehnte sich dagegen und ließ sich auf das Schweigen ein. Er sah den Dohlen zu, wie sie den Auftrieb aus der Südwand nutzten und sich treiben ließen. Er wusste, dass sie bald bei ihm sein würden, sie erwarteten ihren Anteil an seiner Jause und erhielten ihn auch.“ (S. 133)

 

Die Leser dieses Romans, mit einer neuen, literarisch durchaus erprobten österreichischen Stimme vorgetragen in so wertvollem vielschichtigem Realismus, dürfen sich ihren exemplarischen Anteil an Einblick und Aufklärung gegenwärtigen Daseinsabaufs erwarten. Und sie erhalten ihn auch. – Dank des unermüdlich umsichtigen Gipfelgehers Hans Bäck.

 

Matthias Mander