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Gerald Szyszkowitz: Schloss Hunyadi, Tatort

Lesezeit: ungefähr 4 Minuten.

Kriminalnovelle 122 Seiten, 14,90 Euro

2014

Edition Roesner

ISBN 978-3-902300-89-8

 

In seinem Nachwort bedankt sich Erich Schirhuber von der Edition Roesner bei Gerald Szyszkowitz dafür, dass er ein „kleines großartiges Kunstwerk“ geschaffen hat (S. 121), eine „ Novelle, einen Krimi-Roman um eine Theateraufführung im Schloss Hunyadi, die einen blutigen, tödlichen Verlauf nimmt. Eine Geschichte, in der sich Bühnengeschehen und Leben in faszinierender Weise ineinander verflechten … Immer noch lebt die Eifersucht dort, wo die Liebe lebt, noch immer gibt es Situationen, dass der Eine/ die Eine mehr liebt als die Andere/ der Andere – dass verletzt wird, belogen, betrogen, hingehalten, abserviert wird, und es gibt den Zorn, der zuweilen einen mörderischen Gegenstand in die Hand drückt und das Leben eines Untreuen auslöschen lässt.“ (S. 119)

Das kleine großartige Kunstwerk, von  dem der Nachwortverfasser spricht, sei mit folgendem Originalsatz des Gerald Szyszkowitz aus dem 22. Kapitel, einem Sommerfest im Maria Enzersdorfer Garten des Protagonisten und Alter Ego des Autors symbolisiert, ankommende Musiker erwähnend: „Leise und zärtlich wie ein Amselkonzert an  einem Frühlingsmorgen begannen sich also ihre Melodien in die Unterhaltungen der ersten Gäste zu flechten, während, wie jedes Jahr, die Frauen der Familie in der Küche, von der man direkt in den Garten gehen konnte, noch eine letzte Besprechung abhielten …“ ( S.109) Oder etwa zum Anfang des Buchs diese Skizze der jungen Schauspielerin Andrea: „Ihre blonden aufgesteckten Zöpfe erinnerten ihn … an diese federleichten Morgenstunden, wenn die erste Sonne den Reif der Aprilnächte auf den Blüten zum Schmelzen bringt … – Nein, dachte er, genug Lyrik.“ (S. 17)

Diese 109 Buchseiten lange Novelle bietet das Entrollen eines Kriminalfalls, der sich in der Pause vor dem zweiten Teil der Freiluftaufführung der „Liebelei“ von Arthur Schnitzler im dreiflügeligen Barockschloss Hunyadi in Maria Enzersdorf ereignete: Der Schauspieler Jonas Zelinko lag reglos auf dem Boden mit einer frischen Stirnwunde.

Schauspieldirektor Amann improvisierte mit dessen Textbuch auf der Bühne den zweiten Teil des Abends, rettete so die Premiere. Anschließend freilich erwies er sich als hoch intelligenter Untersucher und Aufklärer des Mordfalls. Szyszkowitz erfüllte mit dieser Kriminalnovelle das entscheidende Kriterium eines guten Buchs: nämlich, dass nur er – und sonst niemand – ein solches Werk verfassen kann! Was wird geboten?

 

  1. Ein den ganzen Text rahmendes und umgreifendes Porträt der

(zeit-) geschichtsträchtigen Marktgemeinde Maria Enzersdorf (bis 1999 mit der Beifügung „am Gebirge“) südlich Wiens, samt trefflicher Charakterisierung vieler ihrer Bewohner. Das Geschehen von 1945 im dortigen Kloster St. Gabriel wirkt in den aktuellen Todesfall hinein.

  1. Die authentische Schilderung von Stimmung und Arbeitsweise vor und hinter den Kulissen, vor und während der Aufführung: Analyse eines nur Wenigen zugänglichen Soziotops.
  2. Impressionistisch vollendete Charakterskizzen aller Mitglieder der Künstlertruppe, ihrer vergangenen und gegenwärtigen Beziehungen. Pointierte Szenen mit außenstehenden Gestalten des Geschehens. (Z.B. Putzfrau, Polizist, Rechtsanwältin)
  3. Die gewissensgetriebene Untersuchungs- und Denkarbeit auf der Suche nach dem Täter oder der Täterin im überschaubaren Kreis der Verdächtigen – nicht ohne abgründige Zusammenhänge mit deren Rollen im Leben und auf der Bühne …
  4. Dies alles wird in scheinbar federleichter Dialog- und Sprachführung voll treffender, milieutypischer Formulierungen sowie erstaunlich vieler poetischer Atmosphärilien zur Beglückung der Lesenden geboten.
  5. Schließlich muss auf das singuläre Angebot dieses Textes verwiesen werden, das in den scharfsinnigen Introspektionen des Schauspieldirektors Amann vorliegt: Etwa ein Zehntel der Textmenge zeigt dessen tief gezeichnetes Selbstporträt … Aus diesen auktorialen Preisgaben sei abschließend zitiert:

„Das Schreiben war für ihn, was der Stab für den Stabhochspringer war, ein Mittel, sich über die eigene Begrenztheit zu erheben.“  (S.13) – „Aber wahrscheinlich ist dir das ohnedies egal. Wie das meiste, was du in deinen Stücken nicht verwenden kannst.“ (S. 30) – „Dir geht es immer nur um das, was du gerade schreibst oder inszenierst. Das muss verdammt gut sein. Ja, das ist auch richtig, aber es gibt auch anderes auf der Welt. Anderes und andere.“ (S. 43) – „… ich will wissen, was in mir steckt. Deswegen schreibe ich jeden Tag und jede Stunde, ja, Arbeit ist Selbstverwirklichung, natürlich, aber auch Selbstfindung. Ich manifestiere mich gegenüber der Welt. Das bin ich. So bin ich.“ „Ja, mein Lieber, du bist besessen von dir.“ „Nein, das ist nicht Besessenheit, das ist Konzentration. Konzentration auf das Erkennen. Alles oder Nichts. Keine Kompromisse.“ „Du bist monoman“ „Ich? Nein. Gerade ich arbeite doch jeden Tag in einer Gruppe!“ (S.63) – „Als leidenschaftlicher Regisseur mochte er die Bösewichte in allen Stücken besonders gern, auch die Wahnsinnigen, die Trunksüchtigen, die dem Wett-Teufel und dem Roulette-Spiel Verfallenen, die von allen Missachteten, die Gescheiterten, die Verzweifelten, die Verfemten, die Vertriebenen, die aber doch ahnen lassen, dass sie einen `Keim des Geglückten und Schönen` immer noch in sich tragen.“ (S. 85)

Gönnen Sie sich den intellektuellen und literarischen Genuss dieser Meisternovelle des genuinen Theaterdichters!

 

Matthias Mander