Die Unmoral der Geldmischer
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Von Florian Felix Weyh.
Mit seinem Roman „Die Holschuld oder Garanaser Filamente“ schließt der österreichische Autor Matthias Mander eine Trilogie ab, die sich nicht weniger vorgenommen hat, als die ökonomische Materie in hohe Literatur zu verwandeln. Dem bald 80-Jährigen gelingt eine seltsame Mischung aus Roman, wirtschaftsphilosophischem Essay und moraltheologischem Traktat.
Johann Zisser ist ein alter Mann, Pensionär der ehemaligen Tabor-Werke, die durch betrügerische Transaktionen nicht nur Konkurs gefallen sind, sondern auch noch ihre Angestellten um deren Ersparnisse gebracht haben. Dem ehemaligen Buchhalter geht das Treiben der Firmenausweider, Hedgefonds und Luftbuchungsartisten, die seinen Lebensarbeitsplatz zerstört und damit auch seine Lebenszeit entwertet haben, gründlich gegen den Strich:
„Das Herumschupfen von Geldtiteln ist kein redlicher Unternehmenszweck. Das verlässliche Bankeinkommen, das Sie in der Leopoldstadt drüben erarbeitet hatten, wurde gegen das Wetten um weltweit hüpfende Kurssprünge ausgetauscht, die mehr Gewinn versprachen“,
erklärt Zisser einer verzweifelten Bankangestellten, deren Arbeitsplatz nun auch in Gefahr gerät, weil jene Omnia-Bank, die einst die Tabor-Werke mit zu ruinieren half, ebenfalls auf der Kippe steht.
„Als Wirtschaft gilt für mich nur die Bereitstellung von Gütern und Diensten. Diese Arbeit folgt Vernunftregeln. Für die Geldmischerei gilt das nicht. Diese erfolgt auf dem Feld äußerster Versuchung, wo Vernunft kaum noch nützt, wo reine Moral walten müsste. “
Reine Moral statt maximalen Gewinns – das klingt keinesfalls nach einem ökonomischen Sachbuch. Und richtig, wir befinden uns zwar mitten in einem komplex aufbereiteten Wirtschaftsdrama, in dem getrickst und getäuscht wird, Firmen fallieren und menschliche Existenzen auf der Strecke bleiben, doch die Sprache hat einen Ton, den man so selten liest. Wie soll man sagen … gleichermaßen technokratisch wie pathetisch:
„Ablauf des Weinens: Ein Sog am Gaumen nach hinten, nach oben, ein Auseinanderzerren der Backenknochen, gleichzeitig hinter den Augäpfeln der Brand, der sich ausbreitet über den ganzen Innenraum des Kopfes, bis seine Lava über die Hornhäute schmilzt. Die Schärfe des gestauten Leids rinnt unbeherrschbar aufkochend aus dem Gesicht.“
80 Jahre alt wird im Herbst der Autor Matthias Mander. Seit seinem Rückzug aus dem Managerleben schrieb er eine Trilogie, die sich nichts weniger vorgenommen hat, als die ökonomische Materie in hohe Literatur zu verwandeln. Was andernorts als Stoff zu einem Thriller dienen würde, ist ihm Material für eine Litanei, eine seltsame Mischung aus Roman, wirtschaftsphilosophischem Essay und moraltheologischem Traktat. Zwei der eindrücklichsten Figuren sind katholische Priester, die in ihrer Unbedingtheit des Glaubens und Zweifels vollkommen aus der Zeit und aus der Realität der heutigen Kirche gefallen scheinen. Dazwischen finden sich ausgiebige Naturschilderungen, denn der Held Zisser flüchtet sich nach Garanas, den Ort seiner Kindheit in den Bergen, in deren Schatten menschliche Machenschaften alle Bedeutung verlieren. „Die Holschuld oder Garanaser Filamente“, dritter Band der Trilogie, stellt mit Sicherheit das merkwürdigste Projekt dar, den Turbokapitalismus literarisch zu fassen. Doch in seinem Furor steht das Buch kämpferischen Pamphleten aus der Sachliteratur kaum nach. Die Verquickung von Wirtschaft und Politik etwa, die im Buch an einem historischen Unglücksfall – dem Einsturz der Wiener Reichsbrücke von 1976 – nachgezeichnet wird, beschreibt der Protagonist Zisser mit Verdammungsworten über politisch Verantwortliche:
„Ihr Tagewerk beschränkt sich auf das Wahrnehmen von Sitzungsterminen, Einmahnen von Niederschriftverbesserungen, Aushorchen, woher und wohin der mächtige Wind weht, Wälzen von Protokollfragen, Erstellen von raffinierten Einladungslisten, Erschleichen von Wortergreifungssituationen, Begrüßungen oder gar Schlussbemerkungsfunktionen.“
Und wie aus dem Munde eines jugendlichen Attac-Anhängers klingt das Resümee des wie der Autor beinahe 80-jährigen Helden:
„Welcher Defekt bewirkt, dass die Selbstorganisation des Menschen in diese Selbstverstümmelung ausartet, die Politik heißt?“ (S. 330)
Die Lektüre der „Holschuld“ ist schwierig, keine Frage. Kaum einer liest heute noch Hermann Broch, jenes unverkennbare literarische Vorbild Matthias Manders; wie Broch operiert der Autor auf verschiedenen Erzählebenen, montiert dokumentarische Passagen in den Text, spiegelt seinen Protagonisten Zisser durch eine zweite Ich-Erzählstimme, die innere Vorgänge transparent machen soll, wartet mit einer Fülle verschrobener Randfiguren auf und dosiert Handlungs- und Spannungselemente in nachgerade homöopathischer Verdünnung. Der rote Faden – Johann Zissers Versuch, wenigstens noch einen Bruchteil von in Frankreich eingefrorenen Geldern für die geprellten Angestellten der Tabor-Werke sicherzustellen – geht immer wieder in weiten Exkursionen über ökonomische Seins- und Schuldfragen verloren. Doch wenn man sich erst einmal eingelesen hat, kann man dem Sog dieser äußerst fremdartigen Prosa kaum widerstehen. Und das ist es, was Literatur ausmacht: Sie findet für das scheinbar Bekannte eine neue Sprache – und damit neue Erkenntnismöglichkeiten: „Bis heute haben wir keine Verrechnung erfunden, die jedem Einzelnen soviel Güter zuweist, wie er unmittelbar oder mittelbar geschaffen hat. Verteilt wird nach verbrämtem Faustrecht!
„Bis heute verschaffen sich Hunderttausende ein leistungsloses, verschwenderisches Genießen zulasten Milliarden Ausgebeuteter mit nichts als grundlosen Redewendungen.“
Ungerechtigkeit entsteht, so der Tenor des Romans, wo Sprache Ansprüche schafft, die mit den wahren Arbeits- und Eigentumsverhältnissen nichts mehr zu tun haben. Diese Schieflage kann logischerweise nur Sprache heilen, und sie ist die ureigene Domäne der Literatur. Wer sich auf Manders ausgreifendes Wert- und Wortuniversum einlässt, wird mit Sicherheit nicht verdummen. Ihm öffnet sich einen Spalt weit das dritte Auge der Weisheit, und bekanntlich beginnt es erst im Alter irgendwo auf der runzligen Stirn zu blinzeln.
veröffentlicht im Deutschlandfunk:http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/2149902/
nachzuhören unter: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/06/13/dlf_20130613_1609_9a9189ed.mp3