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PROTOKOLLANT UND BRÜCKENBAUER – Zum 80. Geburtstag von Matthias Mander

Lesezeit: cirka 8 Minuten.

Der Name „Matthias Mander“ ist in Podium – Sitzungen oft gefallen, meist in Zusammenhang mit Angelegenheiten, bei denen „der Mander“ vielleicht behilflich sein könnte. Im Vorjahr öffnete ich schließlich eines der Textdokumente, die zur Publikation in der Podium Ausgabe „unsterblich“ angeboten worden waren und aus denen ich einige für eine Einladung zur alljährlichen Sommerlesereihe im Café Prückel auswählen sollte. Und ich fand mich in der Beschreibung eines aufgelassenen Friedhofs, in welcher der langsam in Form von gewaltigen Laubbäumen, Efeu, Moos und Farnen wiederkehrenden Natur keine geringere Bedeutung zukam als den verwitterten Grabsteinen und Inschriften. Die in der jüngeren Literatur kaum mehr genutzte Symbolkraft der Natur ließ mich an die Prosa von Hans Lebert und Marlen Haushofer denken und ich suchte nach dem Namen des Verfassers dieser eindrucksvollen Auszüge. Müßig zu erwähnen, dass sich die – ich möchte fast sagen ausladende Präzision des Textes ganz selbstverständlich mit meiner Vorstellung des mir persönlich noch unbekannten „Mander“, der nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die Fähigkeit besitzt, anderen hilfreich zur Seite zu stehen, verknüpfen ließ.

Dies als Anfang.

Vielleicht noch ein Wort zur Literarizität dieser Beschreibung. Am Ende des ersten Absatzes fand sich die Ausführung: „Alle Grabstätten ragen aus verwildertem Waldboden, voll armdicken, gebrochenen Ästen. Vogelgesang tönt durch die Laubhalle.“ Nun ist die Verwendung von Metaphern einer der sensibelsten Bereiche, allzu leicht können sie irritieren. Wo sie aber gelingt, reißt eine mitschwingende Begrifflichkeit den Horizont einer zusätzlichen Dimension auf. Sie setzt einen „Link“ könnte man in Anlehnung an den Internet-Jargon sagen. Das Laubdach, das vor Regen oder fremden Blicken zu schützen vermag oder das Himmelsgewölbe, das eine ähnliche Schutzfunktion suggeriert, waren mir geläufig, aber von einer „Laubhalle“ las ich zum ersten Mal. Nun ist es unbedeutend, ob Matthias Mander diesen Begriff originär kreiert oder anderswo vorgefunden und aufgegriffen hat (im Duden ist er jedenfalls nicht zu finden), entscheidend ist der Zusammenhang, in dem er ihn einsetzt. In der Halle schwingen die „Heiligen Hallen“ ebenso mit wie die „Aufbahrungshalle“ und damit wird die Natur zum Sakralraum des aufgelassenen Friedhofs.

Ich hoffe die KollegInnen und LeserInnen des Podium billigen, dass ich noch weiter auf die persönliche Bekanntschaft mit Matthias Mander zurückgreife, die ich kurz darauf machen durfte, und die ohnehin öffentlich zugänglichen Lebensdaten demgegenüber auf einen sekundären Rang verweise. Im Frühjahr 2012 kam es zum Angebot gemeinsam mit Christian Teissl am Lektorat des von Matthias Mander zuletzt publizierten Romans „Die Holschuld oder Garanaser Filamente“ mitzuarbeiten. Dabei machte ich nach einigem Zögern aus Respekt vor dem beispiellosen Werk des Wildgans-Preisträgers den Vorschlag eine Stelle dieses vielschichtigen Romans heraus zu nehmen, um dadurch vielleicht der Aufmerksamkeit der LeserInnen entgegenzukommen. Es wäre mir eine große Freude, ihn dafür zu gewinnen, diese Stelle als Einzeltext im Rahmen der Sommerlesereihe 2014 vorzustellen. Darin geht es nämlich um nichts geringeres als um eine Ethik des Schreibens und damit implizit auch ein Stück weit um die Intentionen des Podium. Der Protagonist Hans Zisser wird von seinem ehemaligen Kollegen Brenda eingeladen, ihn zum Treffen einer Schriftstellervereinigung zu begleiten und lernt dabei ganz unterschiedliche Menschen kennen, über deren Werk, deren Themen und deren Lebensentwürfe oder -geschichten ihn Brenda nebenbei unterrichtet. Matthias Mander entgegnete auf meine Vorschlag sinngemäß, dass er damit Aufmerksamkeit für diese Menschen wecken wollte, die nicht vom Streben nach Erfolg, Macht oder Vermögen getrieben, sondern in einem Anliegen aufgehend, ihre schriftstellerischen Ziele verfolgen. Ich ziehe daraus eine Verbindung zur Widmung, dem Thema der diesjährige Sommerlesereihe. Widmungen spielen in Matthias Manders Werk insofern eine zentrale Rolle als er neben luziden Beschreibungen und scharfen Analysen eindeutig Position für die durch Ausbeutung, Unterdrückung und falsche Versprechen Übervorteilten bezieht und ihnen damit seine Schaffenskraft widmet. Aber auch explizit findet die Geste der Widmung ihren Niederschlag, wenn der Erzähler Hans Zisser in „Der Brückenfall oder Das Drehherz“ darauf hinweist, mit der literarische Dokumentation eines Großverbrechens einem – in der Fiktion konkreten – Auftrag nachzukommen. Und Zisser legt Zeugnis ab. Er hat durch die Schleifung eines Industriebetriebes, Anlagebetrug und Wohnungsbetrug sein Einkommen, seine Rücklagen und schließlich sein Obdach verloren, aber was ihn treibt ist das Unglück der anderen, die Aufklärung über die Verzahnung von rücksichtsloser Gier und den Strukturen, die deren Durchsetzung ermöglichen. Der Schriftsteller und Literaturkritiker Florian Felix Weyh spitzte im Deutschlandfunk seine Charakterisierung der Zisser-Figur darauf zu, dass diese manchmal wie „ein jugendlicher Attac-Anhänger“ klinge.

Aus der Lektüre von „Die Holschuld …“ kann man ersehen, wie ein Zeuge elegant beseitigt wird, nämlich mittels Entschlagungsrecht. Jeder Zeuge hat das Recht, die Aussage zu verweigern, wenn gegen ihn ein anderes Verfahren anhängig ist. Man sorgt also einfach dafür, dass gegen einen möglichen Zeugen, der zur wahrheitsgetreuen Aussage verpflichtet werden und einen belasten könnte, ein Strafanzeige wegen eines völlig fingierten Vorwurfs gestellt wird. Bis sich der Vorwurf auf dem Gerichtsweg als haltlos erwiesen hat, ist der Prozess, dessen Zeuge verhindert werden sollte, längst beendet. Wem das zu weit hergeholt erscheint, der möge Google bemühen: Antwort eines Abgeordneten auf Anträge auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses während der Nationalratssitzung am 1. März 2011: „Grasser als Beschuldigter mit dem Entschlagungsrecht – der lacht sich ja krumm, meine Damen und Herren, wenn drei verschiedene Anträge mit 50 verschiedenen Themen ins Haus kommen! Die Zeit ist dann reif für einen Untersuchungsausschuss, wenn es dieses Entschlagungsrecht nicht mehr gibt.“

Besondere Brisanz kommt Matthias Manders Kritik an einer entfesselten Geldwirtschaft zu, wenn man bedenkt, dass er jahrzehntelang als Manager und Systemplaner im Rechenwesen eines Großunternehmens tätig war. Die Allianz von Kunst und Wirtschaft ist oft prekär. So hat schon die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz darauf hingewiesen, dass nicht nur die Kunstsammlungen ehemaliger Feudalherren, sondern ebenso von ,erfolgreichen’ Unternehmern der Gegenwart in sehr vielen Fällen auf dem Rücken ausgepresster Arbeitnehmer aufgebaut wurden, was sich durch eine Vielzahl arbeitsgerichtlicher Prozesse zeigen lässt. Es handelt sich dabei quasi um eine exklusive Art der legalen Geldwäsche. Völlig konträr ist der Zugang Manders: er verwandelt sein Wissen um die Notwendigkeit wirtschaftlichen Denkens und die Gefährlichkeit rücksichtsloser Finanzartistik selbst in Kunst. Und zwar in der mühevollen Kleinarbeit großer Romane, denen er nach eigenen Worten als „weltgestaltende Gattung“ abfordert, dass „die in einem solchen Roman geschilderte Realität derart von individueller Personalität, Poesie und Pietät durchdrungen und überwölbt sein (muss), dass die genuine Aufgabe der Literatur – empirische Erfahrungen zu transzendieren und damit zu transformieren, also wirklich zu verwandeln – erfüllt wird.“[1] Vielleicht ist hier zu ergänzen, dass Theodor W. Adorno, der die geschichtlichen Ursprünge der Kunst im Religiösen verortet hat, in der Ästhetischen Theorie davon schrieb, dass Kunst in ein – prinzipiell unerreich- und unerkenn- aber denkbares – „Absolute“ hineinrage. Dieses Hineinragen, Überschreiten (tran scendo) bedarf der Brücken, und diese vermag Matthias Mander mit seiner Prosa zu schlagen, unter anderem wenn er eine seiner Figuren die Idee der Koexistenz Gottes und der Menschen aufgreifen lässt.

Matthias Mander, 1933 in Graz geboren, 1955 mit dem Berufseintritt nach Wien übersiedelt und bereits 1963 mit der ersten literarischen Auszeichnung, dem Prosapreis der Innsbrucker Jugendkulturwochen für seine Erzählung „Summa Bachzelt“ bedacht, hat nach literarischen Beiträgen in Zeitungen und Zeitschriften so wie für Radio Graz (dem heutigen Landesstudio Steiermark) 1982 seinen ersten viel beachteten Roman „Der Kasuar“ vorgelegt, dem bis zur Garanas-Trilogie vier weitere Bücher folgten. Schon darin zeigte sich seine künstlerische Methode über das Element des Erzählens, über die Verknüpfung von Handlungsstrecken Rechenschaft abzulegen. Aber darüber geht Matthias Manders Dichtung – fast möchte ich sagen selbstverständlich – hinaus, denn ein einfacher Bericht, der nicht auf die essentiellen Fragen „Wie legt man Rechenschaft ab? Wie kann man überhaupt Rechenschaft ablegen und vor wem? Welche Holschuld hat ein Mensch bereit zu halten?“ verwiese, würde zu kurz greifen. Podium-Kollege Christian Teissl hat ihn einen „Protokollanten von Bewusstseinsströmen“ genannt und Stefan Denkendorf formulierte in seiner Rezension im Podium Nr. 167/168: „Zahlen sind wesentliches Informationsmittel des Buches. Alles wird gezählt: die Anzahl von Kirchenstufen, von Serpentinen einer Bergstraße. Das ernüchtert und entmystifiziert das Geschehen, macht es zum Protokoll.“

Zum Schluss sei mir noch eine persönliche Bemerkung erlaubt: Matthias Mander hat bei unseren Treffen in einigen Nebensätzen seine Kindheit als Halbwaise, dessen antifaschistischer Vater trotz der Mutterlosigkeit des Kindes an die Front geschickt worden war, erwähnt. Wenn man Ingeborg Bachmanns Aussage, dass die entscheidenden Impulse für späteres Schaffen in der Kindheit lägen, heranzieht, so scheinen mir diese Kriegsjahre, die der Autor zuerst völlig auf sich allein gestellt in der Stadt und später bei Verwandten in der ländlichen Steiermark verbracht hat,  den Schriftsteller Matthias Mander geprägt zu haben. Und auch wenn er mir gegenüber angedeutet hat, dass er kaum glaubt, sich in zukünftigen Werken von den Protagonisten der Garanas-Trilogie trennen oder verabschieden zu können, glaube ich, dass es dieser Schatz der Kindheit wert wäre, literarisch gehoben zu werden.

Im Sinn der Eröffnung dieses kleinen Essays anlässlich Matthias Manders 80. Geburtstages gehe ich davon aus, dass sein Name im Podium noch oft fallen wird und hoffe, dass wir seinem Einsatz – nicht nur für das Podium – den gebührenden Dank erweisen können.

 

Christa Nebenführ

 

 

 



[1] Interview in: Der literarische Zaunkönig, Nr. 1/2013