iA


Matthias Mander: Manager und preisgekrönter Dichter

Lesezeit: ungefähr 8 Minuten.

Dieser Text ist auf Grundlage eines Interviews abgefasst, das in der Zeitschrift des Absolventenverbands der Grazer Handelsakademien im April erschienen ist.

Verfasser: Dr. Werner Kuss

„Wer einmal sich selbst gefunden, kann nichts auf  dieser Welt mehr verlieren. Und wer einmal den Menschen in sich begriffen, der begreift alle Menschen.“ (Stefan Zweig) 

Der österreichische Autor Matthias Mander hat in seinem schriftstellerischen Leben eine Fülle von Werken veröffentlicht, wofür er zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt.

Sehr früh hat er auf die menschenverachtenden Machinationen in Firmen und auf den Finanzmärkten hingewiesen sowie vor deren negativen Folgen gewarnt. Ökonomische Themen sind in der Literatur sehr rar. Welcher Schriftsteller nimmt sich der Welt der Industrie, der Globalisierung, der Spekulationen und der Wirtschaftskriminalität an?  Matthias Mander gelingt dies, weil er über das besondere Wissen verfügt und dabei eine völlig eigenständige Sprache generiert. Hinter dem Pseudonym steht Harald Mandl, der von 1947 bis 1951 die Grazer Handelsakademie besuchte und im Berufsleben eine steile Karriere erklomm. Einige wichtige Stationen seien angeführt: Unmittelbar nach der HAK-Matura Eintritt in Grazer Industriebetrieb. Mit 22 Jahren berufsbedingte Übersiedlung nach Wien, um u. a. an der Wiedereingliederung der ehemaligen USIA-Betriebe mitzuarbeiten. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass es sich um einen Verbund von 300 Unternehmen handelte, der von der Sowjetunion als „ehemaliges Eigentum des Deutschen Reiches“ beschlagnahmt worden war. Die Gewinne kamen der sowjetischen Besatzungsmacht zugute. In den 300 Betrieben waren über 53.000 Menschen beschäftigt.

Sehr rasch stieg Matthias Mander zum leitenden Betriebswirtschafter und Systemplaner auf, hatte er doch ein computeruntersütztes Controllingsystem entwickelt, das in London einen internationalen Managementpreis gewann und von Experten wie Univ.-Prof. Dr. Gerhard Seicht gerühmt wurde. So nimmt es auch nicht wunder, dass Matthias Mander viele Jahre auch als Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien sowie an der Universität Innsbruck tätig war.

Meine erste Begegnung mit dem Schriftsteller geht auf das Jahr 2001 zurück, als ich ihn zu einer abendlichen Lesung aus dem ersten Teil seiner Garanaser Trilogie „Garanas oder die Litanei“ in den Festsaal der Schule einladen durfte. Die Lesung war insofern eindrucksvoll, als Matthias Mander nicht nur ein glänzender Interpret seines Werkes war, sondern dem Publikum auch die komplexen Zusammenhänge des Romans erklärte. Komplex deshalb, weil mehrere Erzählstränge miteinander verwoben sind.

2005 folgte der zweite Teil der Trilogie: „Der Brückenfall oder das Drehherz“, in dem sich der Autor mit der Vorgeschichte des Einsturzes der Wiener Reichsbrücke und dem Schicksal jenes Technikprofessors befasst, der aus seinen Berechnungen bereits in den dreißiger Jahren voraussagte, dass die Brücke aus statischen und konstruktiven Gründen einstürzen würde.

Als der Autor 2013 im Literaturhaus Graz aus seinem dritten Buch der  Trilogie „Die Holschuld oder Garanaser Filamente“ las, bat ich Matthias Mander um ein Interview.

 

Zunächst sprachen wir über den Einfluss der Handelsakademie auf seinen beruflichen Werdegang wie auch auf seine schriftstellerische Entwicklung.

Mander: “Ich bin meiner ehemaligen Schule zu großem Dank verpflichtet. Vieles, das ich für meine beruflichen Pflichten brauchen konnte, hatte ich in der Handelsakademie gelernt.

Unter vielen Professoren erinnere ich mich mit großer Dankbarkeit an meinen Klassenvorstand Dr. Königshofer, der es meisterhaft verstand, historische Entwicklungen

in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. Unglaubliche Qualität hatte Dr. Horneck als Kommerzialist. Die deutsche Literatur brachte mir der seelensgute Dr. Pucsko nahe.

Dr. Michael Reinthaler war ein hervorragender Pädagoge, der für unseren Schulhüttenaufenthalt am Herzogberg für alle Tage ein durchgehendes pädagogisches Konzept umsetzte! Unvergesslich bleibt mir, dass er eines Abends das „Apostelspiel“ von Max Mell vorlas. Professor Viktor Frakele liebten wir Schüler, weil er für viele Themen offen war. Ab dem dritten Jahrgang durfte ich auch eigene Texte in der Klasse vortragen, denn damals hatte ich noch vor, „Redakteur“ zu werden. Vielleicht auch ein wenig durch meinen Vater beeinflusst, der damals Vertriebsleiter bei der „Kleinen Zeitung“ war.

Frage: „Wie kamen Sie zur Schriftstellerei?“

Mander: „Ich verlor leider sehr früh meine Mutter, mein Vater musste in den unseligen Krieg und so fand ich bei meiner Tante in Lebring Aufnahme. Dort steht das Schloss Murstätten, in dem russische Kriegsgefangene untergebracht waren und landwirtschaftliche Tätigkeiten verrichten mussten. Die Gefangenen litten Hunger und meine Tante pflegte täglich große Mengen an Suppe zu kochen, die ich in Blecheimern unter einem Busch am Wegrand versteckte. Die vorbeiziehenden Gefangenen waren mit einem Essgeschirr ausgestattet und holten sich damit die Suppe. Eines Nachts kamen die Gefangenen zum Haus meiner Tante am Murufer– der Krieg war beinahe aus – und teilten uns mit, dass sie abtransportiert werden und fürchten erschossen zu werden. Sie küssten aus Dankbarkeit meiner Tante die Hände.

Diese Erlebnisse waren so erschütternd, dass ich als Zwölfjähriger zu schreiben begann, und zwar zunächst Gedichte. So begann ich bereits als Schüler zu veröffentlichen, sowohl im „Grazer Sonntagsblatt“ wie in der „Kleinen Zeitung“. Bereits damals wählte ich mein Pseudonym.

Später schrieb ich für den Rundfunk monatlich eine Sendung für die Abteilung Literatur, die von Dr. Alfred Holzinger geleitet wurde. Es waren immer fünf DIN A4 Seiten, die ich selbst lesen durfte.“

Frage: „Peter Esterhazy meinte anlässlich der Vorstellung seines Romans „Esti“, dass jede Literatur mit Hoffnung zu tun habe?“

Mander: „Ja, selbstverständlich! Mir wird von manchen Lesern vorgehalten, dass meine Werke so ernst, zuweilen traurig seien, wobei übersehen wird, dass meine Romanfiguren nicht aufgeben, sondern weiterkämpfen. Über die Hauptfigur der letzten Trilogie, Zisser, bricht das Unheil in dreifacher Form herein: Verlust des Arbeitsplatzes, weil er sich weigert, für einen neuen Eigentümer die Bilanz zu fälschen. – Seine Eigentumswohnung ist mit einer Hypothek schwer belastet, weil der Vorbesitzer als Rechtsanwalt diese ihm und vielen anderen verschwiegen hat und nach Bekanntwerden des Betrugs sich ins Ausland abgesetzt hat. – Letztlich erfährt er, dass seine private Pensionsvorsorge einem betrügerischen Pyramidenspiel zum Opfer gefallen ist. Doch trotz der vielen Verluste resigniert er  nicht, sondern beginnt bestinformiert und motiviert mit neuem Einsatz und entschließt sich zur kämpferischen Reise in die Vereinigten Staaten. Rosa Zweiner (Gewerkschafterin) besiegt laut Zeitungsberichten ausdrücklich den Finanzschieber Lesky und erwirkt eine Arbeitsplatzgarantie beim Minister. Mitkämpfer Dr. Brenda zieht sich zur Abfassung eines grundlegenden Makroökonomie-Reform-Werks zurück. Das zeigt: „Vergeblichkeit“  widerspricht meiner Moral. Was ich aber tue, ist, die Romanfiguren auf die äußerste Probe zu stellen, um sie schließlich obsiegend zu zeigen.“

 

Frage: „In der Trilogie geht es um Wirtschaftskriminalität, Auswüchse des Kapitalismus, die Opfer der Korruption, die Sinnhaftigkeit des Denkens, Ringens und Schreibens und … um eindrucksvolle Landschaftsschilderungen, die ihresgleichen suchen.Was benötigen wir in wirtschaftlicher Hinsicht?“

Mander: „Eine neue Metaökonomie, denn die Ökonomie hat noch nicht die letzte (=beste) aller Formen angenommen. Sie ist nicht auf der potentiellen Höhe humaner Kultur, nicht einmal der Menschenrechte. Eine große Hoffnung besteht durch die Europäische Union, die neue Grenzen einzuführen beginnt.

Betrachten wir die vier aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen:

  1. Die Mikroökonomie untersucht die persönliche Handlungsweise von Haushalten und Unternehmen. Persönliche Ehrlichkeit und Gesetzestreue sind insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen wohl die Regel.
  2. Die Makroökonomie erkundet Strukturen und Entscheidungen auf nationaler und globaler sowie staatlicher Ebene. Systematisch tendenziöse Perspektiven sind denkbar.
  3. Die Mesoökonomie befasst sich mit institutionellen Aspekten der Wirtschaft, die nicht von der Mikro- und Makroökonomie erfasst werden, weil deren Theorien die vollkommene Konkurrenz, vollständige Information modellhaft voraussetzen und die Bedeutung von Gerichten, Parteien und Konfessionen fälschlich ignorieren. Dort ist aber ein wichtiges Erklärungsfeld: Familien, Zivilgesellschaft, soziales Regelsystem, Vertragskultur.
  4. Die Metaökonomie schließlich begreift die Wirtschaft als komplexes interaktives ganzheitliches lebendiges System. Sie verlangt einen unvoreingenommenen systemischen und evolutionären Ansatz, um die Realwirtschaft als System innerhalb anderer Systeme zu erkennen. Ohne Metaökonomie bliebe in Modellen statistisch nicht Erfasstes unberücksichtigt und führte zu statischen, linearen, isolierten Analysen für offene, nicht lineare, dynamische Systeme, was daher unvollständig und fehlerhaft ist. Der britische Ökonom Fritz Schumacher fordert Elemente der Moralphilosophie, Psychologie, Anthropologie, Soziologie ein, wodurch die metaökonomische Einwirkung über die Grenzen der allzu simplen und kurzfristigen Gewinnmaximierung und nur individueller Rationalität hinausgeht.

Die Stoßrichtung ist deutlich: Die empirische Dominanz der primitiven Parameter, die die gegenwärtige Misere bewirkt hat, muss durch neue Kriterien gebrochen werden.“

Frage: „Es ist immer wieder überraschend, welches Wissen sich in Ihren Romanen widerspiegelt (Wirtschaft, Politik, Geschichte). Wie bewerkstelligen Sie dies?“

Mander: „Durch ein von brennendem Interesse stimuliertes Gedächtnis und ein mehrtausendseitiges Tagebuch samt angegliedertem Archiv.“

Frage: „Hat Sie ein Ratschlag eines anderen Menschen nachhaltig beeindruckt?“

Mander: „Ja, anlässlich der Pensionierung eines höchstrangigen Fabrikschefs sagte er zu mir jungem Mitarbeiter zum Abschied: „Aus Ihnen wird noch etwas! Doch was immer Sie tagtäglich machen, denken Sie jedes Thema selbst durch!“

 

Abschließend jene Frage, die Michael Kerbler in der Ö1-Reihe „Im Gespräch“ zu stellen pflegt.

Frage: „Worauf kommt es im Leben an?“

Mander: „Auf die drei P!“

. Personalität (volle eigene Aufmerksamkeit für jede Aufgabe, Verantwortung für Mitmenschen, Sachwerte und Abläufe, nachhaltiges geistiges Arbeiten)

. Pietas (Ehrfurcht vor den Leistungen und Opfern der Vorfahren, Achtung vor Wissensschätzen und Tugendschulen, Nächstenliebe)

. Poesie (Empfänglichkeit für umfassendes Schauen auf die große Lebensentfaltung in all ihrer Schönheit und Gleichnishaftigkeit)

 

 

Auszeichnungen

 

1963 1. Preis bei der Jugendkulturwoche Innsbruck für Literatur

Peter-Rosegger-Förderungspreis

1980  Anton-Wildgans-Preis der Österreichischen Industrie

1985  Literaturpreis der Girozentrale Wien

1986  Verleihung des Titels „Professor“

1989  Literaturpreis des Landes Steiermark

1991  Literaturpreis des Landes Niederösterreich

1995  Stefan-Andres-Preis der Stadt Trier/Schweich

1996  Goldenes Verdienstzeichen der Stadt Wien

1997  Silbernes Ehrenzeichen der WU Wien

2002  Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst

2009  Kulturpreis des Landes Niederösterreich

 

 

Für jene Leserinnen und Leser, die sich für das Schaffen des Autors interessieren, eine Auswahl an Veröffentlichungen:

„Summa Bachzelt und andere Erzählungen“. Paulus 1966.

„Der Kasuar“. Styria 1979.

„Das Tuch der Geiger“. Styria 1980.

„Wüstungen“. Styria 1985.

„Der Sog“. Styria 1989.

„Cilia oder der Irrgast“. Styria 1993.

„Garanas oder die Litanei“. Czernin 2001.

„Der Brückenfall oder das Drehherz“. Czernin 2005.

„Die Holschuld oder Garanaser Filamente“. Czernin 2012.