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Die Holschuld – Rezension von Hans Bäck

Lesezeit: ungefähr 4 Minuten.

Das neue Buch von Matthias Mander habe ich in einigen Nachtlesungen durchgearbeitet. Und diese Stunden – nächtens – nicht bedauert. Spannend, gründlich, analytisch, konsequent – wie nicht anders zu erwarten. Und doch, hat mich dieses Buch überrascht. Ein dritter Band und ein ganz anderes Buch. Es ist unverkennbar „der Mander“ der uns aus den vorherigen Bänden geläufig ist und doch ist es ein anderes Buch.

Wir begegnen wieder den bekannten Protagonisten, dem Hans Zisser, dem Aloys Mlady, der Rosa Zweiner, der Grete Kilb und wie sie alle heißen. Auch die Bösewichte tauchen wieder auf, der Ichty, Gallunter, Profantl, Kohlenbrenner usw. Dass es Mander gelungen ist, die Sprache der Betriebswirte in die Literatur einzuführen, aus ihr sogar Literatur zu machen, das ist seine große, überragende Leistung seit dem „Kasur“ im Jahre 1979 und den „Wüstungen“ 1985. Diese intellektuell-sprachliche Leistung verbunden mit der dem Autor eigenen Sorgfalt der Recherche, des Aufdeckens von Verbindungen, wo man nicht annimmt, dass es welche geben könnte, all das ist auch im neuen Buch wieder überreich vorhanden. Und doch, was ist neu in der „Holschuld?“ Zuallererst führt Mander einen Doppelgänger des Hans Zisser ein, dem er die erzählerische Möglichkeit gibt, auch Gespräche zu führen und Reflexionen anzustellen, die sonst schwer in der Konzeption Platz gefunden hätten. Mander versteht sein „Handwerk“ dies auch an diesem Detail zu merken, denn wie sonst wäre es dem Hans Zisser möglich gewesen, in der Ich-Form über „Analogien zwischen Filamenten und Litaneien’“ nachzudenken? Oder in Erinnerung zu rufen, wie es war – damals –  „tagaus, tagein um einlangende Aufträge zu bangen, ständig im Bewährungsdruck zu stehen. … das alles im klaren Bewusstsein, dass hievon der Firmenbestand und das eigene Leben abhängen.“ So unerwartet, wie der Doppelgänger Misser auftaucht, so verlässt er wieder das Geschehen, und Zisser bleibt allein. Allein mit seiner Situation, in  der er „nicht nur nichts zu sagen hat“ sondern „auch keine Sprache wüsste in der er schweigen könnte.“

Mander stellt seinem Protagonisten aber eine weitere Person zur Verfügung. Der eigenartige Valentin Laller, von allen der „Merker“ genannt. Und dabei dachte ich sofort an den berühmtesten „Merker“ in der Kunst, den Sixtus Beckmesser in Wagners Meisterwerk „Die Meistersinger von Nürnberg.“ Welche Aufgabe hat Manders Merker im Fortgang des Geschehens? Er sammelt, sichtet, ordnet, sucht Zusammenhänge, bewertet Ereignisse, Geschehnisse nach einem großen gemeinsamen Ganzen. Er erkennt, alles was zu tun ist, sei Belege zu sammeln, für das was noch nirgends verbucht wurde, noch niemals verbucht werden konnte, da „der Kontenrahmen dafür zu klein sei!“ Wieder einer der an  einer übermenschlichen Aufgabe scheitert?

Sind nicht auch Hans Zisser gescheitert, Aloys Mlady, Werner Brenda und wie sie alle heißen, die uns Mander vorgeführt hat? Gescheitert an jenen, welche die Schnüre in den Händen halten, ihr geraubtes, erschlichenes Gut in vollen Zügen genießen, während die vielen tausende Anderen ihre Existenzgrundlagen verloren haben, trotz des unermüdlichen Einsatzes von Zisser, Mlady. Zisser nennt diesen Einsatz „seine Bringschuld abstatten“ und es bleibt dann die Holschuld, für die er bereit stehen muss. Auch stellt sich die Frage nach der Aufgabe der Literatur, wenn man in die Geheimnisse der Garanasser Urwelten eindringt. Wir wissen spätestens seit Wendelin Schmidt-Dengler, dass der Schriftsteller als Seismograf ein romantisches Relikt ist. Die Aufgabe des Schriftstellers in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts ist es vielmehr zu analysieren, zu diagnostizieren. Und die Analyse Manders ist schonungslos. „Protokolle der Albträume“ nennt sie Werner Brenda in einer E-Mail an Zisser, schreibt vom deregulierten Kapitalismus, der Kreativität von Bilanzfälschern, der Schwäche des Rechtsstaates und des globalisierten Finanzwesens. Schildert das „Leben“ der Wohlhabenden in deren Klubsiedlungen, umzäunt und von Privatpolizei bewacht. Die Diagnose Manders geht hin zur Feststellung, dass die Entscheidungsverhältnisse im Wirtschaftsgefüge wichtiger sind als die Eigentumsverhältnisse, das allgemeine Wohlfahrtsziel sei aus dem Blickfeld gefallen. Nein, das sind keine seismografischen Anzeichen von Veränderungen, Verwerfungen, Verschiebungen im Untergrund, das ist eine schockierende Diagnopse einer Jetztzeit, die wir erleben. Ernüchternd hält er fest, dass die Denkschärfe und Leidenschaft der Kritiker des Systems für die Bosse nur Folklore sei. Und zwangsläufig kommt Zisser in die Situation Mit-„Täter“ zu werden. Und häuft eine neue Schuld an, die abzutragen wäre, Holschuld? Entsorgung einer Tatwaffe, Unterdrücken von Beweismittel, Nichtanzeige eines Mordes? Wie wird Zisser, der Unbeugsame, Gerechte, Korrekte, Wahrhafte, Ehrliche, Unbestechliche damit fertig werden können?

Was mich in den Nächten des Lesens ungemein beeindruckte, waren die Schilderungen der Garanaser Welt, der Bäume, Felsen, der belebten und unbelebten Natur, der Blicke von den Höhen des Garanaser Berglandes auf die gesegneten Ebenen und Täler der West- und Südweststeiermark. Auch hier ist erkennbar, der Autor schreibt nicht dahin, was ihm einfällt, sondern jeder Baum, jeder Felsen, jede Höhle, jeder Blick von einer Höhe ist erlebt und mit fotografischer Genauigkeit festgehalten und dem Leser so nahe gebracht, sodass man aufbrechen und Nach-Wandern möchte.

Ist das nun der Abschluss der Trilogie? Der Schluss des Buches lässt das offen, ich bin neugierig ob uns Mander mit einer Weiterführung des Hans Zisser überrascht.

 

Hans Bäck

 

Hans Bäck