Aus den Einführungsworten von Mag. Christa Nebenführ in der Österr. Ges.f. Literatur
Lesezeit: ungefähr 6 Minuten.
Herrengasse 6, Wien I, am 15.1.2013
Manders Beitrag zum Podiumbuch „unsterblich“ (2012) ist u.a. sein Holschuld-Kapitel „Garanas 7“, worin der den alten Friedhof Schwanbergs beschreibt, „alle Grabstätten ragen aus verwildertem Waldboden, voll armdicken, gebrochenen Ästen. Vogelgesang tönt durch die Laubhalle.“ – Da merkte ich auf: Laubhalle statt Laubdach oder Himmelsgewölbe. Assoziation Aufbahrungshalle. Manders Literarizität durch zwei Dimensionen: Natur und Sakralraum.
Einige Worte zum zwingenden Stil: Artikel in der „Zeit“: (show, don’t tell) „Schauspieler nippte an seinem espresso bevor er antwortete“ –nichts von solchen „Füllseln“ bei Mander – alles hat Bedeutung! Beispiel „Brenda 4“ S. 112: Wenn bei Mander einer aus dem Fenster schaut, dann hat das seinen Grund in der Erzählung: „…schaute aus dem Fenster zum großen Nobelhotel hinüber, vor dem sich die schwarz glänzenden Limousinen drängten…:`Die Taxitarife sind falsch. – Kein Flugticket ist richtig berechnet.- …“
„Die Holschuld oder Garanaser Filamente“ – letzter Teil der Garanas-Trilogie.
Ich werde nichts über den überwiegenden Handlungsort im steirischen Koralpengebiet, der im Titel des ersten Teils „Garanas oder die Litanei“ und dem jetzt vorliegenden dritten Teil zitiert wird, sagen. Er wird einem im Lauf der Lektüre so vertraut wie das das Alpl des Peter Rosegger oder das Kamering des Josef Winkler. Was er mit diesen Landschaften vor allem gemeinsam hat: Er steht für viel mehr als für einen beliebigen Landstrich: er steht für gesellschaftliche Zusammenhänge und spiegelt das Seelenleben der Protagonisten.
Im Titel zum 2. Band, „Der Brückenfall oder das Drehherz“, fehlt zwar der unmittelbare Garanasbezug, allerdings lebt die Hauptfigur der Trilogie auch weiterhin in Garanas bei seinem Vetter Max und ein Teil des Inhalts – Stichwort Giftmülldeponie – bezieht sich auf diesen Ort.
Nun ist es eine besondere Herausforderung, hier von einer Hauptfigur zu sprechen. Im ersten Band erzählt Hans Zisser die Geschichte eines gewissen Hans Benedikter, den er „für sich handeln“ lässt. Das erfahren wir in eingestreuten Reflexionen aus „Zissers Tastatur“. Band zwei nimmt Bezug auf den ersten Band, indem der Protagonist Karl Plach diesen Hans Zisser beauftragt, ein anderes, aber mit dem ersten – der Schleifung der Taborwerke und eines Betrugs mit Wohnungen – durch Personen und Ereignisse verbundenes Unglück – oder sehr viel genauer – Unrecht literarisch zu dokumentieren.
Der vorliegende dritte Band dreht das Rad der Identitäten nun noch ein Stück weiter: Hans Zisser, der in der personalen Erzählform dargestellt wird, schafft sich den Misser, um in der ersten Person zu reflektieren. Zugleich beziehen sich aber Figuren auf die fiktive Gestalt des Benedikter, dessen literarisches Handeln den Fortgang der Realität beeinflusst hat…
Mander hat damit eine Subjektkonstruktion ohne – Lacanschen – „Wissenschaftsjargon“ erfühlbar gemacht (show, don’t tell!). Denn trotz allem gibt es handelnde Subjekte und – vor allem – ausgelieferte Subjekte. Im ersten Teil gibt es eine Kritik am menschenverachtenden terminus „Menschenmaterial“. Die Litanei der Einzelschicksale differenziert und präzisiert sich im Laufe der drei Bände, indem einzelne, von Beginn an angelegte Handlungsstränge weitergeführt und in ihren Lebenszusammenhängen immer klarer und deutlicher ausgeformt werden.
In der Holschuld wird der mittlerweile bald achtzigjährige Hans Zisser von – gefühlt! – noch nicht zufriedenstellend erbrachten Bringschulden – er hat alles eingebracht, was er vermochte – eingeholt und ringt mit der Holschuld, die er noch bereitzuhalten hätte, um – metaphysisch gesprochen – dem Leben nichts schuldig zu bleiben. Ein verlorenes Gerichtsverfahrens gegen Großbetrüger zwingt ihn noch einmal in den Sumpf der teils legalen teils illegalen, jedenfalls aber grundsätzlich unredlichen Machenschaften skrupelloser Wirtschafts- und Finanzjongleure, die die Existenzen tausender, global von Millionen Einzelschicksalen vernichten.
Ich habe aus der Lektüre u. a. gelernt wie man einen Zeugen ganz elegant mundtot machen kann, ohne ihn zu „beseitigen“, nämlich mittels Entschlagungsrecht während eines gegen ihn laufenden Verfahrens.
www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/NRSITZ/NRSITZ_00096/SEITE_0261.html
Stenographisches Protokoll
96. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich
XXIV. Gesetzgebungsperiode
Dienstag, 1. März 2011: 9.05 – 22.47 Uhr
Anträge auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
Abgeordneter Dr. Günther Kräuter (SPÖ): Grasser als Beschuldigter mit dem Entschlagungsrecht – der lacht sich ja krumm, meine Damen und Herren, wenn drei verschiedene Anträge mit 50 verschiedenen Themen ins Haus kommen! Die Zeit ist dann reif für einen Untersuchungsausschuss, wenn es dieses Entschlagungsrecht nicht mehr gibt.
Der „Trick“ mit dem Entschlagungsrecht ist also hochaktuell.
Zurück zu den Grundzügen des Romans. Er spielt vom 15.11.2010 bis 27.10.2011. Die letzten Rücklagen betrogener Wohnungskäufer werden ihnen völlig legal – und es ist atemberaubend zu lesen, wie das möglich ist – genommen und Zisser verliert alles, sogar das vom Vetter Max geerbte Wohnrecht auf dessen Hof in Garanas. Aber er macht sich mit dem winzigen Rest, ein paar tausend Euro Überschuss aus dem Verkauf des für ein Gerichtsverfahren verpfändeten und damit verlorenen Wohnrechts, auf nach Denver in Colorado um von den Rechtsanwälten Griffith und Warriner recht zu bekommen…
Ich kann hier nicht auf die Einzelheiten der 12 Handlungsstränge eingehen, die in subtilen Verflechtungen immer wieder auf Begegnungen Zissers mit Menschen hinauslaufen, die wie er mit existenziellen Fragen ringen und so immer neue Facetten der Bewältigung dieser ungeheuerlichen Herausforderung „Leben“ ins Spiel bringen.
Der Valentin Laller aus dem Schwanberger psychiatrischen Krankenhaus sei hier vor allem erwähnt, der „der Merker“ genannt wird und die entferntesten geschichtlichen Begebenheiten anscheinend zufällig in Zusammenhang bringt und nach einem großen gemeinsamen Ganzen darin sucht. – Die Rosa Zweiner, die ihr Wissen um einen gigantischen Bankbetrug aus Sorge um die Existenz tausender Schicksale nicht öffentlich macht und von diesem Zwiespalt umgetrieben wird. – Der vorerst fremde Greis Küstler, dem es gelingt bei seinem Kampf um Wiedergutmachtung, so wie er sie versteht, Zisser zum Komplizen einer Straftat zu machen. –
Zuletzt vielleicht noch der religiöse Aspekt: AtheistInnen wie ich bemerken in den letzten Jahren rankings und Zahlen (30.000 Auflage für ein Buch mit dem Titel `Türkisgrüner Winter` – und das wird ganz stolz in so genannten Büchermedien breitgewalzt, während ich ein Buch mit so einem Titel nicht mit der Kneifzange angreifen möchte), dass wir dem Religiösen im weitesten Sinn des Wortes immer näher kommen, denn um eines geht es in der Kunst zweifellos: um Transzendenz. Und wenn Matthias Mander eine seiner Figuren die Idee der „Koexistenz Gottes und der Menschen“ aufsprechen lässt, schlägt er hier eine m. e. tragfähige Brücke.
Zum Autor:
Matthias Mander war Fabriksangestellter, Rechnungswesenfachmann, freier Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks, Lektor an mehreren Universitäten und hat als Autor viele Auszeichnungen erhalten, u U. a. 1979 den Anton-Wildgans-Preis der Österreichischen Industrie, 1989 Literaturpreis des Landes Steiermark, 1991 den Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur sowie 1996 Verdienstzeichen der Stadt Wien. 1997 Ehrenzeichen der Wirtschaftsuniversität Wien und 2002 Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.
Er ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Mensch mit universellen Interessen und Kenntnissen.
Matthias Mander hat bei unseren Treffen in einigen Nebensätzen seine Kindheit als Halbwaise, dessen antifaschistischer Vater nach der politischen Haft trotz der Mutterlosigkeit des Kindes an die Front geschickt worden war, erwähnt. Wenn man Ingeborg Bachmanns Aussage, dass die entscheidenden Impulse für späteres Schaffen in der Kindheit lägen, heranzieht, so scheinen mir diese Kriegsjahre, die der Autor zuerst völlig auf sich allein gestellt in der Stadt und später bei Verwandten in der ländlichen Steiermark verbracht hat, den Schriftsteller Matthias Mander geprägt zu haben. Und auch wenn er mir gegenüber angedeutet hat, dass er kaum glaubt, sich in zukünftigen Werken von den Protagonisten der Garanas-Trilogie trennen oder verabschieden zu können, erlaube ich mir doch hier den unmäßigen Wunsch zu äußern, er möge diesen Schatz der Kindheit literarisch heben. „Derheben“ würde er ihn zweifellos…