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Joseph P. Strelka: Dante und die Templergnosis

Lesezeit: ungefähr 5 Minuten.

Francke Verlag Edition Patmos, Band 16, 2012

322 S., ISBN 978-3-7720-8443-0  58 Euro

 

Ein beeindruckender Vortrag – und eine ungewöhnliche Mitteilung ohne Worte: Am Abend des 8. März 2013 trug der 86-jährige weltbekannte Komparatist Joseph P. Strelka in den Räumen der Musikgesellschaft neben der Albertina über Einladung des Schriftstellerverbands jene Forschungsergebnisse vor, die sein neuestes Buch „Dante und die Templergnosis“, 2012, zusammenfasst. Mit einer launigen selbstironischen Einleitung brachte er die Zuhörer zum Lachen, ehe seine Stimme in großen Gedankenbögen jene Zusammenhänge erschloss, die in Jahrtausenden engster Umfassung und Durchdringung der vielen epochalen Erkenntnissehnsüchte zur heutigen Hochkultur und deren Bewusstseinsinhalten geführt haben. Obigem Buch sind folgende Aussagen zu entnehmen:

„Je größer eine Dichtung ist, desto größer sind die Schwierigkeiten, sie ganz zu erfassen. Über sechs Jahrhunderte nach ihrer Fertigstellung wurde im 20. Jahrhundert entdeckt, dass Dante mit der Templergnosis vertraut war. Er war ein eingeweihter Templer und seine Göttliche Komödie ist das glänzendste überlebende Zeugnis der Templergnosis. Es geht um ein `Sehen mit den Augen der Seele`, bei dem das „innerste Wesen der Dinge in plastisch bildhaften, leuchtenden Gestalten erscheint`. Dieses Thema formuliert Albert Camus für unsere Zeit so: `Für alle Menschen, die ohne die Kunst und das, was sie bedeutet, nicht leben können, geht es nur um die Frage, wie inmitten von Schergen so vieler Ideologien die seltsame Freiheit der Schöpfung erhalten bleiben kann.`  (Strelka: `Es liegt mir daran, festzuhalten, dass ich die Gotteshäuser aller Religionen mit aufrichtiger und tiefer Ehrfurcht betrete und dass ich die Hasser, gleichviel ob religiöser oder säkularer Herkunft, zutiefst verachte und bemitleide.` S. XII)  Es ist bezeichnend, dass bei Dante wie in der Renaissance, die er einleitet, antike Elemente eine so große Rolle spielen, dass sie gleichwertig mit Elementen der judäo-christlichen Tradition verschmelzen. Bei der Gnosis spielen auch ägyptische Einflüsse herein, sie war das Wissen um den Weg der Erweckung und Entfachung  des in jedem Menschen ruhenden Seelenfunkens zur Gewissheit seiner erleuchtenden Existenz, eine Glückseligkeitslehre. Dantes Dichtung ist ein grandioses Werk, das seine innere Entwicklung im Traumbild einer Jenseitswanderung darstellt.

Die Templergnosis ist ein spirituelles Wissen über die Vorstellungen und Denkformen der menschlichen Existenz. Sie sei  `die Erkenntnis, wer wir sind und was wir geworden sind; woher wir stammen und wohin wir geraten, wohin wir eilen und wovon wir erlöst sind`. (Clemens Alexandrinus). Im 12. Jahrhundert zur Kreuzzugszeit entstanden, eng verbunden mit der Ordensregel des Bernhard von Clairvaux, in Zusammenhang zwischen den Templern und dem Tempel Salomos, wird auch das Hohelied Salomos aus dem Alten Testament beschworen, das einen Bezug zum ägyptischen Isis-Mysterienkult aufweist. Isis war ja Jahrtausende vor Maria zur jungfräulichen Gottesgebärerin des Horus geworden, eine Muttergöttin, verehrt im Götterpaar Isis und Osiris oder auch Demeter und Dionysos. So weisen die Vorläufer der Templer bis in die minoische Megalithkultur zurück. Bernhard von Clairvaux, der christliche Mystiker, hatte auch selbst die `heilige Geometrie` der Maurer des Königs Salomo übersetzt. Nach der Eroberung Jerusalems im ersten Kreuzzug wurde unter der Stätte des ehemaligen Salomonischen Tempels nach Schätzen gegraben, die dort vor dem Ansturm der Römer auf die Mauern der Stadt vergraben worden waren – damals schon über tausend Jahre zurückliegend! Dabei ging es nicht nur um die gnostischen Texte der Essener, sondern bei den Gesetzestafeln um viel mehr: Diese sind die `Tafeln des Logos, des Wortes, der Vernunft, des Maßes, der Verhältnisse, der Zahl.`

Zum Frühkult des griechischen Mythos bis etwa 1500 v.C. gehört die ganzheitliche Einheit von Welt und Einzelleben ohne Trennung von sakral und profan. Alles war eine einzige untrennbare Einheit. Bernhard von Clairvaux, Zisterzienserabt ab seinem 25. Lebensjahr, steht in geistiger Verbindung mit den Essenern, denn sowohl die Essener wie die Zisterzienser liebten abgelegene einsame Orte für ihre Niederlassungen, beide trugen weiße Leinenkleider. Wie Bernhard den Templerorden gründete, gab es auch unter den Essener-Schriftrollen eine eigene Kriegsordnungs-Schriftrolle. Die Essener von Qumran wurden von den Römern getötet, aber einigen Priestern gelang es, aus Jerusalem zu fliehen, sie gingen zunächst nach Griechenland, dann nach Frankreich, wo sie es zu Ansehen und Einfluss brachten. Zu ihren Kreisen könne auch Bernhard gehört haben… Die Verbindung griechischer Philosophie mit alten Mysterienkulten hat zu einem überaus differenzierten Ergebnis geführt, dem Phänomen der Gnosis, einer Glückseligkeitslehre. Eine solche ist auch Dantes gewaltige Commedia trotz ihrer Begrenztheit durch die geozentrische Weltschau des Ptolemäus. Sie ist von höchster ästhetischer Bedeutung und das meistgedruckte Buch nach der Bibel.

Demut ist die Grundtugend am Läuterungsberg, ja `der Ruhm der Welt überhaupt sei wie ein Windesrauschen`. Im Paradies von Beatrice belehrt, sagt Dante: `Dass unseren Geist nichts sättigt, muss ich sehen, wenn ihn das Licht der Wahrheit nicht erleuchtet.`“

 

Der riesige Wissens-, Denk- und ja, auch Bekenntniskosmos, den Professor Strelka entfaltet hatte, schuf im Auditorium mächtigen Eindruck. Dieser wurde noch verstärkt durch die Beobachtung, dass der greise starke Redner zunehmend tief bewegt war. Seine Stimme musste hörbar gegen die Ergriffenheit ankämpfen. In seiner Ausarbeitung wird jeder einzelne Gesang Dantes in allen Herleitungen und Verweisungen wahrhaft atemberaubend erklärt: Jahrtausende der Höchstspannung menschlicher Wahrheits- und Selbstsuche, Selbstbestimmung und Daseinsernsthaftigkeit, gefasst in schärfster Wort- und Sprachfügung, erfüllte die Musikräume. Und schließlich rannen dem Vortragenden Tränen über die Wangen als er über Dantes „letzte Erkenntnis“ redete, die ihn  wie „ein Strahl der Erleuchtung trifft: Das

Antlitz des Menschen,  aus dem heraus plötzlich der verborgene Gott als nun offen sichtbarer Gott sich enthüllt. Mit diesem Bild des Menschen untrennbar verbunden ist jene höchste Form der Liebe, in der sich die göttliche Kraft und Macht äußert, die unsichtbar und dennoch ganz wirklich das Weltall durchwaltet und selbst die Sonne bewegt und alle Sterne…“

Dieser erschütternde öffentliche Vorgang beweist über das dort vermittelte Höchstwissen hinaus die volle persönliche Hingabe des Autors an seine universalen Ideale der Menschenachtung und Menschenfreundlichkeit, wohl auch im Wissen um die schier unleistbare Aufgabe, diese durch unsere Gegenwart zu retten.

 

p.s. Auf zwei kenntnisreiche Rezensionen des hier erwähnten Buchs ist hinzuweisen:

Sidonia Gall im Literarischen Österreich 2012/2 und David Axmann im `extra` der Wiener Zeitung vom 18.8.2012

 

Matthias Mander