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Im Sog des Überzeitlichen – Zum 90. Geburtstag Prof. Dr. Heinz Gerstinger

Lesezeit: cirka 13 Minuten.

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Heute vor einer Woche hatte ich die Ehre eines längeren Gesprächs mit Heinz und Erika Gerstinger in deren von Gemälden, Kunstwerken, Büchern und mit Frieden erfülltem Heim: Der Eingang in die Erdgeschoßwohnung ist von üppigen Sträuchern und Bäumen gerahmt, und der Ausblick von der efeuumwachsenen Freiterrasse über eine Wiese auf einen Föhrenhain unter blauem Himmel ist eine Idylle. Kultiviertheit und Ruhe erfüllen diesen Platz in einem großen Floridsdorfer Wohnblock, wo man solches nicht erwartet. Doch kein blinder Zufall hat diesen Platz ergeben, sondern weitblickende wohldurchdachte Anordnung dieses Künstlerehepaars.

 

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Dieses erste Stichwort greife ich einleitend auf, weil der ganze Lauf ihrer Lebenswirklichkeit in aller Breite und Tiefe kongenial von gleichgerichteter Bemühung, Rücksicht, Bestärkung, Treue, Fürsorge, Liebe, gleichgerichteter Bemühung um hohe sprachliche Kunst getragen ist. Ich kenne keine zweite ebenbürtige, jeden Betrachter erfreuende Ehepartnerschaft. Diese gewährt der lieben Erika und dem lieben Heinz menschliche Nähe und Bergung, den gemeinsamen perfekten Haushalt, die ständige Erschließung und Begleitung in die jeweilige geistige Welt, die die beiden für einander öffnen, und schließlich die Vorbereitung, Durchführung und Nachbetrachtung ihrer gemeinsamen Auftritte.

 

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Die große Niederösterreichische Kulturzeitschrift „Morgen“ schrieb über sie: „Erika Santner und Heinz Gerstinger bringen eine spröde Kunst unter die Leute. Einen besonders sympathischen Weg der Vermittlung haben sie gewählt: Sie bringen Lyrik unter die Leute und sie tun dies mit solcher Inbrunst – hier ist das altmodische Wort tatsächlich angebracht – dass ihnen immer wieder Bekehrungen gelingen. Ihr Anliegen ist es, das Leben und Schaffen eines Dichters, die Lyrik einer Epoche oder ausgewählte Gedichte über eine besondere Landschaft in entsprechender Form zu präsentieren. Lyrik zwischen Buchdeckeln ist nur eine halbe Sache. Steht doch nicht das geschriebene Wort, sondern die mündliche Weitergabe von Gedichten am Anfang der Menschheitsgeschichte. Professor Dr. Heinz Gerstinger bringt sein enormes Wissen ein, er gestaltet die literarischen Abende und spricht die verbindenden Worte. Seine Frau, die Schauspielerin Erika Santner zitiert auswendig, was ihr Gelegenheit gibt, für jedes Gedicht die adäquate Stimmung zu erzeugen, es also wie eine Rolle aufzufassen, die dann mit vollem Einsatz gespielt wird. Besonders gut gelingt ihr das bei langen balladesken Gedichten, die sie gleichsam als Minidramen anlegt. Gerstingers Einführungen in die Werke sind keine bloßen Nacherzählungen des Lebenswegs der Autorinnen und Autoren, ebenso vermeidet er es, Intimes vor dem Publikum auszubreiten; vielmehr bringt er bei allen Programmen markante Höhepunkte im Oeuvre mit Momentaufnahmen aus der Biographie in Verbindung, er verweist auf Anlässe, die zur Entstehung des einen oder andern Gedichtes geführt hat und lässt so ein abgerundetes Persönlichkeitsbild entstehen. Gerstinger und seine Frau erarbeiten sich neue Auftrittsmöglichkeiten in einer Sparte, die ohne großen Bühnenapparat auskommt. Und sie erweisen damit der Literatur, der Lyrik vor allem, einen großen Dienst. – Besonders begeisterte Aufnahme fand das Programm „Weinviertel und Marchfeld im Gedicht“ mit Beispielen von Tannhäuser über Nikolaus Lenau bis Paul Celan und Johannes Wolfgang Paul, das 1999 aus Anlass der Eröffnung des Kulturzentrums Seyring erstmals präsentiert wurde.“ (Elfriede Bruckmeier)

 

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Sehr geehrte Zuhörer! Als ehrenamtlicher Verantwortlicher für die Lesereihe Literatur live im Kulturzentrum Schloss Seyring der Stadt Gerasdorf bei Wien darf ich Ihnen hiermit alle bisherigen Auftritte Erika Santners und Heinz Gerstingers aufzählen mit den Daten und den Titeln. Ich bitte Sie, die jeweils in Absprache zwischen den Künstlern und mir gewählten Titel genau zu beachten und miteinander zu verbinden: Denn sie sind eine einzige große Konfession!

27. 5.1999: „Ulrich von Liechtenstein – ein Minnesänger und Politiker im Mittelalter“

 

22.10.1999: „Weinviertel und Marchfeld im Gedicht“

 

28. 4. 2000: „Woher, wohin, wozu – Dichter unserer Zeit antworten“

 

29.9. 2000: „Schritte ins Makellose“ – Das dichterische Werk der Lyrikerin Elisabeth

Schawerda

 

2. 3. 2001: „Wirf ab den Lehm, nimm zu an Hauch“ – Das Werk der Dichterin

Christine Lavant

 

22. 2. 2002: „Gedichte aus einem langen Winter“ – Das Werk des steirischen Autors

Alois Hergouth

 

28.3. 2003: „Es müsste Dir genügen, Mensch zu sein“ – Der überzeugende Mann

und Dichter Herbert Wadsack

 

28.5. 2004: „Meine Angst endet mit der Sehnsucht“ – Die wunderbaren Texte des

Lyrikers Johannes Wolfgang Paul

 

25.11.2005: „Der Seele Leuchte aber ist die Sehnsucht“ – Frauenlyrik des

Mittelalters, Minne und Mystik

 

28.9. 2007: „Ich brauche einen Menschen, bis ich Gott habe“ – Christine Lavant,

begnadet durch Leid und Hellsicht und lebenumgreifende Poesie

 

27.2. 2009: „Und mir ist als wäre kein Ende – Dichtung auf dem Weg zur Hoffnung“

Das Denken, Erkennen, Dichten der Zeugen eines Jahrhunderts

 

 

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Ich darf Ihnen bezeugen, liebe Zuhörer, dass das Publikum von Seyring den Einladungen zu diesen Lesungen besonders interessiert und zahlreich folgt. Denn dieses Publikum hat sich für diese Konfession geöffnet und teilt sie. Ich verrate nichts Unerlaubtes und schließe mich ein, wenn ich erzähle, dass dort so manche Träne geflossen ist. Herbeigeführt und begleitet von reinster Musik aus der Gitarre Ewald Felbers entstehen Worte, Denkfiguren, Erfahrungsbilder, Lebenseinblicke, Wahrheitsgestalten, erschütternde Zustimmungen und Befreiungen.

Es geht, verehrte Damen und Herren, stets um Schönheit und Wahrheit, die zugleich präsent und absent sind. Zugleich „wirklich und wahrhaftig“ und doch unerreichbar, unbehaltbar. Schönheit und Wahrheit, schicksalprägend erahnbar und doch niemals beruhigter Besitz! Die Anspannung auf diese Ziele hin, treibt die Kunst. Diese auch nach der Zuwendung des vollen Einsatzes der besten Kräfte weiterwirkende Anspannung!

 

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Mit diesem Begriff „Anspannung“ nähere ich mich jetzt jener Persönlichkeit, jenem Künstler und Kulturschaffenden, dem lieben Vorbild und Freund, dem verehrten Jubilar, dessen 90. Geburtstag wir dankbar feiern dürfen. Ein Aphorismus Martin Kessels lautet: „Jede Gegenwart ist ein Verhör, jede Zukunft ein Urteil!“ Der bewusste, schöpferische Mensch ist immer ein Verhörter! Minütlich wird er streng befragt. Nach der Nutzung seiner Zeit, nach der Gründlichkeit seiner Arbeit, nach der Lauterkeit seiner Pläne, nach der Redlichkeit gegenüber den Nächsten, nach der Wahrheit seiner Sprache. Und angesichts eines 90. Geburtstags, der in der begnadeten Verfassung unseres lieben Heinz Gerstinger begangen werden kann, stellt sich der bewundernde Beobachter vor, wie viele richtige Mikro- und Makroentscheidungen seine Schritte, seine Handgriffe, seine Wörter und Verschweigungen, seine Taten und Enthaltungen bis hierher gelenkt haben, zu dieser Feststunde unter uns vielfach beschenkten Freunden. Diese stete Aufmerksamkeit, Anspannung über einer Aufgabe, vor einem Ziel, das außerhalb seines eigenen Ich liegt: Er hat keine Kraft vergeudet für verzehrende und verzerrende Selbstspiegelung. Er hat keine Jahre gezählt! Er ist dem Außen zugewandt, erforschend, gestaltend, erklärend, vortragend, tausende Seiten schreibend und denkerisch Jahr für Jahr entlang den Tageszeiten rastlos, nicht mühelos, einhaltlos, nicht gefahrlos, entlang den Tageszeiten aller seiner bisher 33000 Tage gegangen. Ge-gang-en. Schritt für Schritt. Aufgabe für Aufgabe. Vollendung um Vollendung. So lautet heute, in der jetzt eingetretenen Zukunft, das Urteil nach abertausenden Seiten Verhörprotokollen…

 

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Auf meine Frage, wie er selbst sein hohes gesegnetes Alter erklärt, antwortete Heinz mit drei Wörtern: 1. hat er Gott zu danken, 2. seinen Eltern, 3. dem vielen Glück, das er so oft hat. – 1944, als 25-jähriger musste er seine Energie an eine der Todeszuckungen des Hitlerreichs verschwenden, in der berüchtigten „Ardennenoffensive“ oder auch „Rundstedt-Offensive“. Was Heinz Gerstinger damals lebend überstand liest sich in der Zeitgeschichte so: „Am 16.12.1944 letzter nazideutscher Versuch, einen Keil zwischen englische und amerikanische Invasionstruppen zu treiben. Mehrere Panzerarmeen – darunter die 6. SS-Panzerarmee – und Infanteriedivisionen sowie das Luftkommando West traten an. Maximaler Geländegewinn 10 bis 30 km! Kein Ziel konnte erreicht werden. Am 23.12. griffen 3170 alliierte Flugzeuge in die Bodenkämpfe ein; allein am 24.12. 1944 flogen sie 6000 Einsätze. Die deutsche Luftwaffe verlor 1088 Maschinen. Am 25.12. riet GFM Rundstedt Hitler dringend, diese Offensive einzustellen und die Truppen zurückzunehmen. Mit dem sattsam bekannten gegenteiligen menschenverachtenden Fortführungsbefehl. Am 29.12. war die Niederlage besiegelt, am 16.1.1945 vollendet. 17.236 deutsche Tote, 34.439 Verwundete.“ Unser lieber Heinz war einer der 16.000 geretteten Kriegsgefangenen… So viel zum Stichwort Glück.

 

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Ein Verzeichnis seiner Lebensleistungen will Heinz Gerstinger in dieser Stunde nicht zur Verlesung bringen lassen. „Alle, die hier teilnehmen, kennen mich“, sagte er. Daher werde ich nichts sagen über das erfolgreiche Studium an der Universität Wien der Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte. Nichts Weiteres über die 5 Jahre Dienst in der Wehrmacht. Ein Jahr nach der Promotion 1947 Ablegung der Reifeprüfung für Regie. Unerwähnt bleibe somit auch die Position als Chefdramaturg Regisseur und stellvertretender Schauspiel-Direktor der Vereinigten Bühnen Graz 1953 bis 1963. – 1963 bis 1967 mit ähnlicher Stellung in Augsburg, 1967 bis 1972 Dramaturg am Burgtheater Wien zusammen mit Friedrich Heer; 1972 bis 1984 Chefdramaturg am Volkstheater Wien. – Unerwähnt bleiben auch Vortragsreihen über Dichtung im Wandel der Zeit, Theater der Völker, Landschaften in Dichtung und Musik. Verschwiegen bleiben auch die erschienenen Arbeiten „Calderon“ 1967; „Spanische Komödie“ 1968; „Theater und Religion heute“ 1972; „Anton Wildgans als Dramatiker“ 1981; „Wien von gestern“ 1991; „Frau Venus reitet“ 1995; „Die Wiener Salons im 18. und 19. Jahrhundert“ 2002; „Der Heilige Dämon“ über Gregor VII, 2006. Zahlreiche Vortrags- und Rezitationsabende zusammen mit seiner Frau Erika Santner in Österrreich, Deutschland, Ungarn, Slowenien, Slowakei. – Das alles bleibt, wie gewünscht, unerwähnt. Nicht jedoch meine persönliche früheste Erinnerung an diesen imponierenden Mann: Ich verließ meine Geburtstadt Graz 1955; in den Jugendjahren davor verfolgte ich begierig alle Kulturnachrichten meines Ortes und hörte buchstäblich täglich im Radio genannt als Verantwortlichen für viele künstlerische Ereignisse: Dr. Heinz Gerstinger. Mehr noch: ich habe ihn oft durch die Straßen eilen gesehen: Eine helle, strahlende Gestalt, für mich eine Erscheinung aus der höheren, verehrten Welt… Letzteres gilt heute noch.

 

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Ich nähere mich nun der gebotenen und persönlich tief empfundenen Gratulation auf großem Umweg. Ich hatte die Ehre 2002 einleitende Worte für die Buchvorstellung in der Wertheimsteinvilla für Heinz Gerstingers Werk „Die Wiener Salons“ zu sprechen. Ich möchte einige Sätze von damals zitieren: „Da begegnet uns zum Beispiel im Salon der Caroline Pichler jener Friedrich Schlegel, 1772 -1829, der 1808 aus Dresden kommend in den Dienst der österreichischen Staatskanzlei trat, Hofsekretär des Erzherzogs Karl wurde. – 1812 hielt er seine berühmten Vorlesungen über die Geschichte der Literatur in einem Saal des Gasthofes „Zum Römischen Kaiser“ in der Renngasse. Er sagte: „Ein geisttötender Rationalismus war das herrschende Grundübel, die rastlose Systemsucht und das leere Formelwesen. Diese Form hat die Krankheit bei dem großen Haufen der gewöhnlichen Denker und in den niederen Regionen des intellektuellen Lebens. Eine solche tief in den Mittelpunkt des Lebens eindringende geistige Krankheit tritt, obwohl nie das Ganze verstehend, im Truggewand dialektischer Spitzfindigkeit und ideeller Leerheit auf. Dadurch wird auf die Dauer und in der allgemeinen Wirkung der Sinn der Wahrheit selbst untergraben und mithin alles innerlich Feste aus dem Leben wie aus der Erkenntnis … hinweggenommen.“ „Die höchste und tiefste Idee ist der Gedanke von der im metaphysischen Sinn immer wachsenden Vollkommenheit der Welt, im ewigen Fortschritt der Schöpfung von Klarheit zu immer höherer Klarheit.“ Aber nicht nur dem Philosophen Friedrich Schlegel begegnen wir in Heinz Gerstingers Buch, sondern beispielsweise den Dichtern Bahr, Bauernfeld, Brentano, Byron, Calderon, Dante, Ebner-Eschenbach, Eichendorff, Goethe, Grillparzer, Hofmannsthal, Kleist, Lenau, Raimund, Saar, Schiller, August Wilhelm Schlegel, Stifter.- Doch nicht nur Literaten, auch Philosophen, Denker, Entdecker, die für uns von schicksalhafter Bedeutung sind, treten lebendig aus jenem historischen Kosmos: Darwin, Nietzsche, Rousseau, Sonnenfels (jenem Arzt und Schriftsteller, dem wir verdanken, dass das Maria-Theresianische Österreich der erste Staat war, in dessen Justizwesen die Folter abgeschafft wurde!), Stael, gar nicht zu reden von den persönlich erscheinenden und aufspielenden Musikgenies Beethoven, Donizetti, Haydn, Liszt, Mendelssohn-Bartholdy, Mayerbeer, Mozart, Schubert. Lebendig erscheinen die Politiker und Machthaber Danton, Erzherzog Johann, Erzherzog Karl, Josef II., Maria Theresia, Marie Antoinette, Metternich, Napoleon, Robespierre, Josef Speckbacher, Andreas Hofer, Wellington. Und nicht zu vergessen: Außer dem von Zacharias Werner zitierten großen Augustinus erleben wir den leibhaftigen Wiener Heiligen in den Salons jener Tage: Clemens Maria Hofbauer… Die Nennung dieser Namen, die in jedem von uns Erinnerungen und Querbezüge aufleben lassen, zeigt uns, dass in diesem Buch unsere eigene Existenz hergeleitet und erklärt, geklärt, wird! Das Wort Existenz heißt ja nichts anderes als „Hervorgehen, Hervortreten, Heraustreten, Aufkommen, Entstehen, Sich-bewahrheiten“, wie wir es dem Lateiner Josef Maria Stowasser verdanken, der übrigens ebenfalls zum Personal dieser Umschau zählt.“

 

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Es geht jetzt um diese magistrale Perspektive! Wie selten kann man doch anlässlich eines Festtags für dessen persönlichen Mittelpunkt diesen Begriff verwenden: Aber mit unserem Jubilar haben wir einen Menschen vor uns, mitten unter uns, auf den diese Qualifizierung zutrifft: Er sah seit langem und erzählt, erklärt die Welt mit magistraler Perspektive. Alle Gegenden der Geisteswelt, alle Konturen der alten Geschichtswelt, alle Dimensionen des Religionsuniversums, alle Straßen und Schluchten unserer schneidenden Zeitgeschichte, alle Höhen und Tiefen der in unserer Theaterliteratur erfassten Seelenwelten kennt er! Dieses vieldimensional drehende, pulsierende, durchstrahlende Koordinatenwerk seines Denkens und Wahrnehmens, seines Empfindens und Sprechens trägt er in jeder Minute bewusst in sich und verwaltet es mit hellster Aufmerksamkeit zu seinem eigenen und zu unserem Besten.

 

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Es geht um die interdisziplinäre Souveränität. Um den großen Panoramablick. Um die souveräne Demut. Um die unbeirrbar gewordene, durch keine neuen Einsprüche mehr verdunkelbare Menschenliebe, Nächstenliebe. Nicht betulich, weinerlich, sondern männlich, ernsthaft, gereift. Um seine suprakonfessionelle Christlichkeit, die durchaus Elemente vom Wesen jenes Gottmenschen verehrt und verbreitet, dessen Name soeben genannt wurde. Es geht um philosophische Frömmigkeit.

 

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Der Umweg ist ausgeschritten. Ich bin bei meiner, bei unserer Gratulation angekommen. In dem Buch über Ulrich von Liechtenstein findet sich auf Seite 193 ein Vers jenes Dichters, mit dem ich anheben will: „Gott weiß wohl, mir ist ihre Ehre/ Lieber als die Ehre mein.“ Wenn ich diesen Vers Heinz in den Mund lege, so ist das voll gedeckt durch die bereits entwickelte Darstellung seines Wesens als uneigennützig, unnarzißtisch, gerichtet, gewidmet, angespannt für die außerhalb seiner selbst liegenden Werte. Dass ihm also Werte höher und wichtiger stehen als „die Ehre mein“ ist klar. Untersuchen wir, wer nun mit „ihre“ gemeint ist. „Gott weiß wohl, mir ist ihre Ehre/ Lieber als die Ehre mein.“ Nun, bei einem Minnesänger liegt es nahe, dass mit „ihre“ eine verehrte, geliebte Dame gemeint ist. Im Fall von Heinz ist dies hundertfach belegt, mit eigenen Augen und Ohren wahrgenommen, in aller Öffentlichkeit, dass ihm die Ehre seiner Gattin Erika lieber ist, als seine eigene. Also das „ihre“ heißt erstens Erika Santner.

Und als zweites möchte ich sagen, mit „ihre“ ist auch die Kunst gemeint. Wir sind diesen Abend in Gesellschaft eines Herrn, der ein ganzes reiches, überreiches Lebenswerk der Kunst und Kultur gewidmet hat. André Malraux sagt über Kultur, dass sie durch ihre Hervorbringungen im Verlaufe von Jahrtausenden es den Menschen erlaubt hat, „weniger Sklaven zu sein.“ Wir, liebe Anwesende, sind die Begünstigten solcher Kultur, sind begünstigt in einem unmittelbaren, wörtlichen Sinn, der Leistungen Heinz Gerstingers. Die vielen Freiheiten, die wir genießen, verdanken wir kulturellen Befreiungstaten, wie Heinz Gerstinger sie setzte und setzt.

 

Eine der ganz frühen Kulturleistungen sind die Lebensregeln des Mose, der vor 3200 Jahren in seinem 3. Buch, Levitikus, das den Verhaltensweisen seines Volks gewidmet ist, im Kapitel 19, Vers 32 befiehlt: „Vor einem grauen Haupte sollst du aufstehen und die Alten sollst du ehren.“

Lieber, hochverehrter großartiger und bescheidener Jubilar, begnadetes Geburtstagskind, wir gratulieren! Und wir danken, dass es uns angesichts Deiner Persönlichkeit leicht fällt, ja beglückt und begeistert, Mose folgend, vor dir aufzustehen und Dich zu ehren. Ad multos annos.