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Gerald Szyszkowitz, 21 Dramen in drei Bänden

Lesezeit: ungefähr 9 Minuten.

Gerald Szyszkowitz, 21 Dramen in drei Bänden, Amalthea-Verlag 2008

Band I „Stücke über große Österreicher“, 373 S., 19,90 Euro

ISBN 978-3-85002-628-4

Band II „Stücke über große Österreicher“, 389 S., 19,90 Euro

ISBN 978-3-85002-629-1

Band III „Stücke aus Österreich“, 277 S., 19,90 Euro

ISBN 978-3-852002-630-7

 

Die Publikation: Band I enthält die „Thaya-Trilogie“, die „Schnitzler-Stücke“ und das Drama „Der Sonderfall“ über den 1980 finalen Konflikt des ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Bruno Kreisky mit dem Finanzminister und Vizekanzler Dr. Hannes Androsch (Uraufführung 2009). Band II enthält die Stücke für Sitzenberg, d.s. „Schubert“, „Figl vom Tullnerfeld“, „Der Maler Schiele aus Tulln“ , „Schnitzler und das süße Mädel“, „Robert Stolz und Hermann Leopoldi“, ferner die beiden Stücke „Tschechow“ sowie „Schiller und die Schwestern Lengefeld“. Band III enthält die zeitgeschichtlichen Stücke im Theater Experiment am Liechtenwerd, d.s. „Der Lieblingssänger des Führers“, „Ein Mord an der Klagemauer? Warum?“, „Marianne Moritz oder Die Kunst des Vergessens in Alt Erlaa“ sowie die Gegenwartsstücke in der Freien Bühne Wieden, d.s. „Szymanski oder Man kann das ganze Fernsehen umbringen, aber doch nicht seinen Chef“, „Ich weiß auf der Wieden ein kleines Hotel“, „Schmiergeld von der Waffenlobby nach Friedrich Schiller“ sowie einen Einblick in „Die elf frühen Stücke“, die 1991 im Breitkopf Verlag veröffentlicht wurden. Jeder der qualitätsvoll gestalteten Bände enthält Bühnenfotos, Kritiken, die Bibliographie und Auszeichnungsliste des Autors sowie dessen überaus ansprechende Einführungen in Entstehungsgründe und –abläufe seiner Dramen.

Der Autor: Gerald Szyszkowitz (Kürzel G.Sz.), geboren 1938 in Graz, 1960 Dr. phil Universität Wien, war Regisseur in Bonn, Dortmund, Wilhelmshaven, Stuttgart, Hannover; Chefdramaturg und Regisseur in Graz; 20 Jahre Fernsehspielchef mit legendären Produktionen (z.B. „Alpensaga“, „Mit meinen heißen Tränen“, „Eine blaßblaue Frauenschrift“, „Das Dorf an der Grenze“ usw.) im ORF; seit 2001 ist er Direktor der Freien Bühne Wieden, wo er seither 41 Uraufführungen herausbrachte, davon 14 eigene Stücke. Gerald Szyszkowitz hat 17 Romane und 32 Dramen geschrieben. Es gibt viel Sekundärliteratur hiezu, davon 2 in Buchform, viele Übersetzungen. G.Sz. ist Mitglied des Österreichischen Schriftstellerverbands und des P.E.N.

Aus den Einführungen: Band I – „Das Wichtigste für einen Autor ist, dass er etwas zu erzählen hat…Ich wollte immer Geschichten lesen, hören, anschauen… Und selber Geschichten schreiben und anderen vorspielen… habe als Fernsehspielchef über tausend (!) Geschichten erzählen können… konnte Autoren und Regisseure beauftragen, an die ich geglaubt habe. Und in den Nächten schrieb ich selber… Als ich den ORF verlassen hatte…griff ich sofort zu: …ein kleines Theater in einer großen Stadt. Im achten Jahr Direktor, habe ich an die 50 Uraufführungen angenommen. Etwa 1/3 der Stücke habe ich selber für die FBW und die Sommerspiele Schloss Sitzenberg geschrieben. Mit ständigem Blick auf unser Publikum und unsere Schauspieler.“ Der Sonderfall „Kreisky“: „Ich näherte mich dem Stück sehr vorsichtig. Eher literarisch. Schiller lesend. Darum war der erste Entwurf auch eine Paraphrase des Kampfes des jungen Don Carlos mit seinem mächtigen Vater Philipp von Spanien… Diese Idee funktionierte aber doch nicht recht… Also versuchte ich die Originaltexte aneinander zu reihen, die ich vor allem in Kreiskys Memoiren, im Androsch-Buch von Beppo Mauhart und im Kreisky-Buch von Elisabeth Horvath gefunden…“ Band II – Am Tag nach der Uraufführung des „Schubert“ in Sitzenberg saßen wir mit dem Bürgermeister beim Heurigen und plötzlich sagte er zu mir: ‚ Das da drüben ist Rust im Tullnerfeld, dort ist der Figl geboren. Können Sie nicht versuchen, über den Figl ein Stück zu schreiben?’ Mich überzeugte die Qualität der überlieferten Texte, Figls eigene Reden und Erinnerungen. Es gibt so viele gute Texte von Leopold Figl, dass er auch als Bühnenfigur nur Texte spricht, die seine eigenen gewesen sind… Es ist erwiesen, dass sich die Zuschauer alle Informationen besser und länger merken, wenn sie die mit der Hilfe von starken Gefühlen aufgenommen haben… also nicht nur ein geographisches, sondern auch ein aufklärerisches Konzept.“ „Mich interessierten und interessieren die ewigen Gesetze des Romans und des Dramas immer noch.“ Band III – „Das Stück Szymanski“… ist die fiktive Geschichte eines ermordeten ORF-Generalintendanten… entscheidend für die Situation der FBW war… dass ich aus finanziellen Überlebensgründen gezwungen war, im Herbst schnell ein 2-Personen-Stück zu schreiben um es kostengünstig auf die Bühne zu bringen…“ Zur „Waffenlobby“: „Aber trotz aller Aktualität, das Entscheidende blieb für uns die Charakterkomödie, die aalglatte Geschicklichkeit des Herrn Fuchs.“

Einige Szenen-Zitate: KREISKY „…jemand, der aus der Oberklasse der Gesellschaft kommt, hat für Skandalträchtiges einen sehr wachen Instinkt! Für die Aufsteiger ist das von vornherein etwas anderes… Die können nämlich nie genug bekommen… Weißt Du, dass der Bund und die Gemeinde Wien der Consultatio Millionenaufträge in den letzten Jahren gegeben haben, das hat mir kein Mensch gesagt! …Und keiner von denen hat ein Unrechtsbewusstsein!“ //“… die Partei tragt den Hannes, an einfachen Menschen, auffe, und jetzt, wo er oben was tuan kennt fia uns, jetzt wü der für sich…den höchstbezahlten Posten von ganz Österreich?“//

BENYA „Wer nicht kämpft kann nicht gwinnen“ ANDROSCH „Ich könnt schon kämpfen.“ BENYA „Du willst aber nicht, weil du einfach verwöhnt bist.“ ANDROSCH „Ich bin auch verwöhnt, da hast du schon recht, aber vor allem bin ich nicht blöd.“ BENYA (langsam) „Ah, nein?“ ANDROSCH „Nein!“// — FIGL (brüllt) „Ich hab keine Komplizen… Ich hab keine Komplizen… Ich hab keine Komplizen…! DEUTSCHER „Wenn Sie alle Namen vergessen haben.. Na, dann müssen wir Ihnen leider wirklich Gelegenheit geben, wieder einmal in Ruhe über alles nachzudenken… in Mauthausen… Und wenn Sie dort Schneeflocken an Ihrem vergitterten Fenster vorbeifliegen sehen… Werden Sie bald merken, dass das Aschenflocken sind…“// NADJA (als Sami) „In der Bibel steht: Du sollst nicht töten, ja, aber da steht auch noch ein wichtigeres Gesetz! Wenn deine Seele gefährdet ist, rette deine Seele… wieso das wichtiger ist? Weil immer das Religiöse das Entscheidende ist…wenn also Sie selber diesen Amerikaner erschossen haben sollen, der alles, was uns heilig ist, jahrelang geschmäht hat, dann haben Sie ein gutes Werk getan…“// MARIANNE „Wer, wie du, nie Gefühle investiert, kann Abzeichen und Grußformeln wechseln wie Hemden. Deine Ideale sind immer nur der Deckname für deinen Ehrgeiz.“ MAX „Ich kann und will nicht Farbe bekennen. Ich wüsst auch gar nicht, welche….Ja, ich bin ein pragmatischer Mensch, der Karriere machen wollte und deswegen Karrierehilfen angenommen hat“…// SZYMANSKI …fünfzehn Minuten später stand der Kanzler im Foyer… und verstand… was los war: Der Fernsehdirektor ist tot, der Job ist frei“…// NEUWIRTH „…kriechende Mittelmäßigkeit kommt oft weiter als das geflügelte Talent, der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit regiert eben leider nur auf der Bühne.“

Episode: Während mehrwöchiger Proben für mein Reichsbrückenstück – täglich von 10 bis 14 Uhr, allabendlich lief das G.Sz.-Schillerstück – beobachtete ich das Erarbeiten aller Schritte, Gesten, Blicke, der Handhaltungen mit Zeichenrolle, Zirkel, Rechenschieber, Notizblock, Schlüssel, Halskette. Plötzlich sein Ruf nach dem Requisiteur: Auf dem Tischchen in Prof. Plachs Wohnung soll bei den Büchern zuoberst der im Text zitierte Michael Kohlhaas von Kleist liegen. Und daneben soll eine kleine Vase mit Blumen in der Farbe des Kleids der Franziska stehen. Zu mir gewandt, sagte G.Sz. erklärend: „Bert Brecht fordert, auch wenn du im Theater Armut zeigst – sie muss ästhetisch schön sein.“

Interview: M.M.: Welche Galaxien kreisen in deinem inneren Kosmos? G.Sz.: Klassische Prägung im Grazer Akademischen Gymnasium, viele Jahre Griechisch und Latein. – Die Tanzkunst meiner Mutter. Die Literatur des Vaters. Die Malerei des Urgroßvaters, der Kirchenmaler Josef Gold in Salzburg. Lesen, Schauen, Darstellen, Theater – nicht spielen, sondern machen! M.M.: Deine „Produktion“ als Romancier, Dramatiker, Produzent, Regisseur ist immens. Woher kommt die Energie? G.Sz.: Antrieb zum vollen Erfassen des Menschenlebens. Beobachten von Personen, die sich verändern im Drama, durch die Katharsis. Mich interessiert es: Warum reagiert die Figur so? Die klassischen Gesetze des Romans – Leo Tolstoi, Theodor Fontane, Joseph Roth –, angewandt auf den Erkenntnisdrang in Prosa und im Drama.

Würdigung: Allein G.Sz.` Theaterproduktionen seit 2001 hatten über 50.000 Besucher. Alle Stücke hat er inszeniert, die Hälfte hat er selbst geschrieben. Die Auslastungen liegen stets nahe 100% – eine Voraussetzung zur Beschäftigung von etwa 70 Schauspielerinnen und Schauspielern. Der Kunstverstand, das Weltwissen, die Menschenkenntnis, der humanistische Durchblick, die schöpferische Gestaltungskraft, die alltägliche Handlungsfähigkeit und Vermittlungsbegabung, aber vor allem die literarische Aussagefähigkeit des Gerald Szyszkowitz sind wirklich einmalig. In den 30 Jahren, die G.Sz. in Maria Enzersdorf wohnhaft ist, hat er 30 Theaterstücke und 17 Romane, u.a. „Der Thaya“ (1981) und „Puntigam oder die Kunst des Vergessens“ (1988) veröffentlicht. 13 Bände Übersetzungen liegen vor.

Von ihm stammt die Ansprache des Papstes Johannes Paul II. am 12.9.1983 in der Wiener Hofburg. Karol Wojtyla, auch Theaterautor, hat kein Wort geändert: „Geschichte von Wissenschaft und Kunst ist verbunden mit Geschichte des Glaubens. Mögen wir uns auch an verschiedenen Ufern aufhalten, so begegnen wir einander doch in der Frage nach dem Menschen und seiner Welt.“

Eine Konstante der G.Sz -Texte ist ihre Nähe zur Aktualität. Beinahe hätte er eine Rede für den Wahlwerber Waldheim geschrieben, hätte dieser nicht die Frage nach seinem Kriegseinsatz rundweg zurückgewiesen. Der Schriftsteller hat die Unhaltbarkeit dieser Meinung vorausgesehen, der Politiker nicht: Ein Anstoß für große Literatur.

Das 17-bändige Romanwerk bringt es auf 3.739 Buchseiten. Goethe versteht seine Werke „als Bruchstücke einer großen Konfession.“ Was wäre wohl eine solche des G.Sz.? Das Gewirk und Gewoge unseres Erlebens in dem Kontinuum voll Gestalten und Schicksalen zu bannen, zu erzählen. G.Sz. schuf ein Österreichpanorama von besonderer Profilierung und Brillanz. Sein Name steht in einer Reihe mit den Schlüsselautoren der uns konstituierenden Österreich-Literatur.

Unlängst sah ich G.Sz. die Wiedner Hauptstraße überqueren (bei rot). In offener schwarzer Winterjacke, geduckt, die weiße Mähne im Regen, eilte er zu einem weiteren Arbeitstermin ins Café Wortner gegenüber seinem Theater. Mir fiel in diesem Augenblick der Schlusssatz seines Friedrich Schiller paraphrasierenden Stücks vom Oktober 2007 ein: „Gerechtigkeit regiert eben leider nur auf der Bühne.“ Und ich meinte plötzlich klar zu erkennen, was der allertiefste lebenslange Antrieb zum literarischen Riesenwerk des Gerald Szyszkowitz ist: Das Herbeirufen, das Zum-Leben-Herunterzwingen der Gerechtigkeit, der benennenden, aufklärenden, schicksalstiftenden Gerechtigkeit, auf die Bühne, ins Theater, durch die Kunst…

Die soeben erschienenen drei Bände mit 1039 Seiten (!) Dramen – eines davon das in seiner packenden Authentizität und menschlichen Noblesse überwältigende Stück „Kreisky“ mit dem Uraufführungsjahr 2009 – gebieten herzlichste Anerkennung und höchste Auszeichnung für das in Breite, Menge, Tiefe und Güte singuläre literarische Wirken des Gerald Szyszkowitz.

Matthias Mander