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Franz Forster: Mozart und Salieri

Lesezeit: ungefähr 6 Minuten.

Ob der fast 36-jährige Mozart im Jahr 1791 vergiftet wurde – und gegebenenfalls von wem – erfahren Sie auch durch das neueste Buch Franz Forsters nicht. Dieses Unwissen wird durch dessen Lektüre allerdings in unerwartete, ungeheure Zusammenhänge gerahmt, die Sie durchaus betreffen, ergreifen können: Denn  alles was Mozart, dieses Menschheitsgenie schlechthin, betrifft, verweist auf das Geheimnis unseres Wesens, das auch die Schicksale von uns vielen Namenlosen bestimmt. Deshalb hat Franz Forster den tausenden Textseiten, die über Mozart schon geschrieben wurden, seine weiteren 114 Seiten angefügt. Völlig zurecht: Denn Datenzugangs- und Kombinationsmöglichkeiten, Musikhistorie und – Komparatistik, Perspektive und Artikulationsfähigkeit sind neu! Diese „Untersuchung“, dieser „Essay“, dieser „Roman in Tatsachen“ hat den Autor „zeitweise stark belastet“ (S. 99). Die Mühe sei ihm gedankt, unter anderem, weil die so beigeschafften „Tatsachen“ uns eine Zeitsonde schenken, mit der wir in packender Unmittelbarkeit die Lebensweise, den Lebenskampf, die Daseins- und Abgangsform der Menschen einer scheinbar versunkenen Epoche konkret und drastisch erfahren: Ihr seid wie wir. Wir sind wie Ihr wart. Auch unsere Hingaben werden versinken wie Eure. Auch für 250 Jahre zurückliegende Themen gilt: Tua res agitur!  Von Dir ist die Rede …

Zum Mozart-Begräbnis im Dezember 1791: „Die `Privilegierte Bettlerin` Katharina Harruschka und ihr Sohn Franz, Totengräber-gehilfe hätten sich spät abends noch auf dem St. Marxer Friedhof befunden als Mozarts Leiche ankam. Die Bettlerin fragte in eigenem Interesse, ob noch Equipagen nachfolgten, doch die Rede war nur von einem Kapellmeister und Musikus, also armen Leuten.“ (S. 110) Dass es damals den Status oder jedenfalls den Begriff einer „privilegierten Bettlerin“ gab, ist eine interessante Erhellung.-

Das Begehen des St. Marxer Friedhofs ergibt folgende Aussagen: „Andreas Streicher war ein Jugendfreund Friedrich Schillers und ermöglichte diesem die Flucht. Streicher – ein begabter Musiker – hat die Absicht gehabt, einen Studienaufenthalt bei Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg anzutreten, doch verwendete er das hierfür bestimmte Geld um Schiller zu unterstützen … Er schrieb später ein Buch: `Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim`. Streicher heiratete in die Klavierbauerfamilie Stein ein; seine Frau Nannette und er verlegten das Werk nach Wien, wirkten an der Entwicklung der Wiener Mechanik mit … Nannette hatte noch in Deutschland von Mozart Unterricht am Klavier erhalten. Andreas Streicher wurde einer der Klavierlehrer von Mozarts Sohn Franz Xaver. Streicher und besonders Nannette betreuten noch den verwahrlosenden Beethoven. Streicher war auch einer der Fackelträger bei Beethovens Begräbnis; einer der anderen war Franz Schubert.“ (S. 9) … auch eine gewisse Marie Piquot ist hier begraben … die Grillparzer unglücklich liebte. Sie hatte ihm ihr Bildnis vermacht, in welchem ein Abschiedsbrief an Grillparzer versteckt war, den dieser nicht fand.“ (S. 10) „In der Tat war es nicht üblich, den Toten nach der Einsegnung in der Kirche bis auf den Friedhof zu begleiten. Doch machte sich die Witwe Mozarts, Constanze, nicht kundig, wo sich das Grab befand … ließ auch weder Kreuz noch Stein setzen.“ (S. 12)

„Das Verhängnis: Zu seinem Unglück geriet Mozart in Wien an die Familie Weber (die er bereits in  Mannheim kennen gelernt hatte). Die Familie der Weberischen scheint – man entschuldige den Ausdruck – überwiegend Gesindel gewesen zu sein. Die Mutter Cäcilia … suchte auch Mozart mittels eines Vertrags zur Heirat mit Constanze bei Androhung einer sonstigen Rente als Pönalezahlung zu erpressen.“ (S. 17)

„…dass Mozart oft bei Salieri vorbeischaute und ihn bat: `Lieber Papa, geben Sie mir einige alte Partituren aus der Hofbibliothek, ich will sie bei Ihnen durchblättern.`(Salieri war nur 6 Jahre älter als Mozart) Salieri fand einen `Vater` in Christoph Willibald Gluck und auch der Person Kaiser Josephs II.“  (S. 18) „Salieri war ein umsichtiger und zuverlässiger Organisator. Daß Mozart ein Chaot war, dürfte allgemein bekannt gewesen sein …  Mozart spielte bei Aufführungen seiner Kompositionen den eigenen Part aus dem Gedächtnis, da er nicht Gelegenheit gefunden hatte, ihn niederzuschreiben …“ (S. 19, 20) „Mozarts letzte Symphonien sind eine Klasse für sich. Sie klingen – um einen Wiener Ausdruck zu gebrauchen – `entrisch`“ (S. 24)

„Wie Mozart Constanze unverhohlen um Treue bittet, ist erschütternd: `O Gott! Liebe mich nur halb so wie ich Dich liebe, dann bin ich zufrieden. `“ “Mozarts überhaupt  letzter erhaltener Brief an Constanze in die Kurstadt Baden bei Wien, endet: `Lebe wohl, ewig Dein Mozart. Die Sophie küsse ich tausendmal, mit N.N. (Süßmayr?) mache, was Du willst. Adieu.`“ (S. 25)

„Salieri verfiel gesundheitlich sehr stark, war zeitweise von Schwermut befallen … versuchte, sich mit einem Besteckmesser Schlagadern aufzuschneiden.“ (S. 35) Beethoven nahm bei Salieri Unterricht … Salieris letzte Oper `Die Neger`, eine Oper zu den Themen Moralität, Freiheit und Überwindung von Schranken, sei die Vorgängeroper zu Beethovens `Fidelio` gewesen. Dazu würde passen, dass der Text zu Salieris `Negern` von Georg Friedrich Treitschke stammt, der auch das Textbuch zu `Fidelio` bearbeitete … – Hector Berlioz erfuhr sein Erweckungserlebnis an Salieris Oper `Les Danaides`… (S. 42)  „Befreundet war Wagner mit Berlioz, dessen Instrumentationskunst er bewunderte. Meyerbeer war direkter, Berlioz indirekter Schüler Salieris.“ (S. 43) „Salieri soll oftmals gesagt haben, `eine Arie Mozarts wiege ganze Opern anderer Komponisten auf` … Über Mozarts Requiem: `Das geht über die Regel …! `“ (S. 44)

„Als Todeskrankheit wurde angegeben im Sterberegister der Dompfarre St. Stephan: `Hitziges Frieselfieber`… Mozart fror. `Die für ihn gefertigten Leibeln waren so, dass er sie vorwärts anziehen könnte, weil er sich vermög Geschwulst nicht drehen konnte. `“ (S. 52,53) „Salieri soll Mozart am Tag vor dessen Tod besucht haben. Er nahm wohl an der Trauerfeier im oder vor dem Stephansdom teil und wohnte auch den Proben zum Requiem bei.“ (S. 61) „Zeugnis von Salieris Pflegern vor Gott und den Menschen: Niemals hätten sie den Cavaliere Salieri sagen hören, er habe den berühmten Komponisten Mozart vergiftet.“ (S. 62) „Mozart hatte hohe Einkünfte. Dennoch hatte er immer wieder hohe Schulden, Puchberg war sein Geldgeber. Bei Abwesenheit Mozarts hielt sich Constanze bettlägerig bei Puchberg auf. Möglicherweise waren Mozart doch seltsame Gebarungen seines Geldgebers aufgefallen?“ (S. 64) „Theaterunternehmer, Textdichter Emanuel Schikaneder hatte Mozart um dessen Honorar für die Oper `Die Zauberflöte` geprellt. (S. 70) „Auf dem Totenbett liegend schaute Mozart auf die Uhr und  begleitete in Gedanken die gleichzeitig laufende Aufführung seiner Oper im Vorstadttheater an der Wien. Er hätte sie gern noch einmal gehört. Das sagte er dem Kapellmeister Rosner, der an seinem Bett saß.“ (Henri Gheon, Auf den Spuren Mozarts, S. 361)

Die These Franz Forsters: „Mozart wurde vergiftet, und zwar von Puchberg, da Mozart berechtigtes Misstrauen gegen seinen Finanzmann gefaßt hatte … Constanze und Süßmayr war dieses Vorgehen Puchbergs nicht unwillkommen. Denn möglicherweise hatte sich Constanze an der finanziellen Ausbeutung Mozarts beteiligt … Als einzige anständige Leute in dieser Gesellschaft erscheinen mir Salieri … und (Schwägerin) Sophie.“ (S. 94) Auf Seite 98 allerdings wird Michael Puchberg als Freund und Geldgeber Mozarts genannt, als würde er nicht vier Seiten früher als dessen Mörder bezeichnet.

Franz Forster erwähnt das Drama „Mozart und Salieri“ von Puschkin, das Theaterstück Shaffers „Amadeus“ und dessen Film auf Seite 60 sowie das Mozarttribunal von Carr, das Theaterstück von  Hans Ungar „Salieri. Ein Prozess“ auf Seite 100. Hans Ungar, 1925 bis 2004, dessen Vater beim Einmarsch der Nazis 1938 Selbstmord beging, floh mit seiner Mutter 1939 nach England, kehrte 1946 nach Österreich zurück, übte einen Brotberuf seit Anfang der Fünfzigerjahre als Technischer Übersetzer aus. In dieser seiner Eigenschaft lernte der Rezensent ihn kennen und erfuhr von seiner Identität als Dichter. Hans Ungar war eine betont unauffällige beflissene Person  im Arbeitsalltag, die so ihre Hingabe an das literarische Werk absicherte.

Für die Mühen von Forsters Materialsammlung gilt, dass Quantität tatsächlich ab einer bestimmten Masse in Qualität umschlägt. Die Wellen der erstaunlichen, erhebenden, aber auch erschreckenden Mozartschen Schicksalsereignisse, die an die äußersten Grenzen vermeintlich anthropologischer Rationalität schlagen, schwappen über in unsere aktuellen Alltage. Die guten Folgen davon für unsere eigene differenzierte Existenzbewältigung haben wir der Leistung Franz Forsters zu danken.

 

Matthias Mander

 

Franz Forster

Mozart und Salieri

Ein Roman in Tatsachen

 

2013 Berenkamp Buch- und Kunstverlag

ISBN 978-3-85093-298-1

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