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Peter Paul Wiplinger – „Ein Gespräch ist mir lieber als jede Rede. Der Händedruck ist mir lieber als die Umarmung.“

Lesezeit: cirka 18 Minuten.

Peter Paul Wiplinger Ehrenkreuz

Das schrieb Peter Paul Wiplinger in seiner Farbenlehre 1987. Lieber Peter Paul, das sollst Du jetzt haben!

 

Warum führe ich ein Gespräch und halte keine Rede? Weil ich keine platte Stellung Dir gegenüber einnehme, die sich über Deine Erscheinung unter uns zu einem abschließenden Bild drängt. Und warum leiste ich keine Umarmung, sondern biete ein Händedruck? Weil ich Dich nicht vereinnahme, nur jene Signale aus Deinem Leben und Werk aufgreife, die mir in meinen eigenen Bewährungversuchen aufgefallen sind.

 

Ich freue mich über Deine heutige Ehrung. Sie anerkennt einen unverwechselbaren Menschen mitten unter uns, anerkennt seinen für viele stellvertretenden Blick und sein uns stellvertretendes, für uns eintretendes Wort. Deine Sicht der Dinge, wie sie in künstlerisch vollendeten Photographien für jeden erkenn- und nachvollziehbar vor uns liegt, ist gleichrangig Deiner Beurteilung und Einwertung persönlicher Lebenszustöße und gesellschaftlicher Ereignisse, wie sie in Deinen Texten für jeden erkenn- und nachvollziehbar vorliegen.

 

Der archetypische Gestus des stellvertretenden wertstiftenden Leidens wird deutlich. Dein ganzes bis heute vorliegendes Werk und Deine ganzes bis heute überblickbares Leben, die Folgerichtigkeit Deines Selbsteinsatzes – um nicht Selbstopfers zu sagen – und Deines existenzgefährdenden Unterlassens aller ablenkenden, trübenden, verstrickenden Einlassungen sind zwar im Konkreten nicht Vorbild für alle Lebensführungen aller Menschen, aber sie gebieten ein Aufmerken, ein Ausrichten, ein Aufblicken, ein Innehalten und ein Selbstprüfen, somit alles in allem eben eine Wertsteigerung, eine Lebenssteigerung Deiner Mitmenschen – insofern, ich wiederhole mich, ist Dein stellvertretendes Schauen, stellvertretendes Erleiden, stellvertretendes Benennen ein Geschenk an uns.

 

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ich bin ein pendel/dessen weg/die zeit verkündet/die zeit bestimmt

 

ich weiß: der rote/unbekannte fleck/in einer fremden weißen landschaft/aus eis und schnee und himmelslicht/bin ich/ – und wer bist du

 

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Sehr verehrte Damen und Herren zu dieser Feststunde!

Ich will nun einige ganz einfache Fragen beantworten: Wie ist der Peter Paul Wiplinger? Was macht er? Was will er? Woher kommt er? Warum zeichnet ihn unser Staat mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, also der großen Anerkennung für Wissen und Können aus?

 

Peter Paul Wiplinger ist unbeirrbar. Er ist unbeugsam autonom, selbstbestimmend, nachhaltig. Tief in seinem Inneren pocht und strahlt und mißt und fordert – der absolute Wert. Eine unkonventionelle, unkonfessionelle, aber genuin religiös transzendierende metaphysische Letztposition, für die es – gemäß seinem werkimpliziten Urteil – in den etablierten Sprachschätzen keine unbelasteten Vorräte gibt. Weshalb Peter Paul Wiplinger diese seine Disposition nur mit seinem persönlich ausgewählten, mit seinem persönlich schmerzvoll gefundenen Wort ausleben muß, schicksalhaft austragen.

 

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BÜRDE/ die angst/der kindheit/lebenslange last

 

Da war der Ton einer Geige,/der lang in mir blieb

 

gib mir den segen vater/und laß mich in die fremde ziehn

 

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Geprägt von einer christlich gläubigen Familie – geprägt nicht, was die Glaubensinhalte betrifft, vielleicht auch nicht die Glaubensformen, aber von bekenntnishafter Unbedingtheit, von dem fortbrennenden Herzen, das sich nicht beruhigen kann im Unvollkommenen: Das sind die authentischen Strukturen der Religiosität, transkulturell, transkonfessionell, und erst recht transideologisch. Belege hiefür gibt es zu Hunderten in seinem

Werk.

 

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Vaters Tod: hinter deinem fenster/erlischt nun das licht/die botschaft der liebe/aber vergesse ich nie

 

Im Rila-Kloster: drei kerzen/habe ich angezündet/vor dem Muttergottesbild/eine für meinen Vater/eine für meine mutter/eine den geschwistern/dann stand ich noch/eine Weile im raum/ohne irgendein gebet/denn ich dachte mir/diese stille ist gut/und sie genügt allen/den lebenden/wie den toten

 

der engel mit dem flammenschwert vor dem paradies/ wir werden auferstehen

 

das mysterium herr das ich nicht begreife/an das ich nicht glaube/die hand ist ab/daran ist nichts zu ändern

 

WICHTIG/ das gesicht/bewahren/für den Tag/der wahrheit

 

den himmel nehmen/wie das tägliche brot/..dem schmerz/die anerkennung/verweigern

 

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Wenn Goethe sagt, mein ganzes Werk ist eine einzige große Konfession, dan gilt dies für die Gedichte, Erzählungen, Essays und Proklamationen des Peter Paul Wiplinger genauso.

Was er zwischen 1960 und 2003 veröffentlicht hat, liest sich als Bekenntnis, Befund, Bestärkung: Als Bekenntnis eines schönen Seele, um noch einmal Goethe zu zitieren, als Befund eines Bewährungsversuchs vor sich selbst und als Bestärkung im hartnäckigen Unterlassen jeder Halbheit.

 

Was macht Peter Paul Wiplinger? Er macht 4200 Gedichte. Sie sind von ihm her gesehen existenzstiftende und -rettende Rufe, Gesten, Klimmzüge; und von uns her gesehen, das Protokoll eines Lebensvollzugs der Unbedingtheit. Genauer, des schmerzvollen Lebensversuchs hierin. 4200 Gedichte in 40 Jahren heißt durchschnittlich alle drei Tage ein gedrucktes Gedicht. Peter Paul Wiplinger arbeitet wie ein riesiger Tagbauschaufelbagger minütlich für sich und stellvertretend für uns das Schicksal auf, tausende Tonnen Erdmaterial bewegt er, bewegt sein Hirn, stemmt seine Seele, durchforscht sein Sensorium, das diesen Schicksalsstoff benennt, ordnet, bewertet, beschwört. Wonach wird mit diesen pausenlosen Erdbewegungen geschürft? Nach Erhellungen, Einwertungen, Befriedungen, Befreiungen, Sicherungen – und nach den Bildern, diese sicht- und übertragbar zu machen. Diese Erdaufschöpfungen liegen ausgebreitet vor uns, gewöhnliches Gestein, Massen von Materialaufgriffen neben vereinzelten Funden, Kleinoden, Goldstücken, Diamanten: Aber Achtung: Wahrer, originaler Weltstoff sind alle Heraushebungen, taube sowie Edelgesteine.

 

Was will Peter Paul Wiplinger?

Der Dichter will jene überzeugen, die sich nähern, jene lähmen, die schaden.

Ich glaube erkannt zu haben, daß seine persönliche Stabilität nur mit seiner laufend nachweisbaren Arbeit, seinem Kampf für die Menschenwürde erreichbar und erhaltbar ist. Auf die Frage nach seinem Vermächtnis antwortet Peter Paul Wiplinger mit dem Ruf nach allgemeiner Bildung, nach echter Demokratie, nach der Ethik der zehn Gebote und nach der Verläßlichkeit der Freiheitsrechte. Und er antwortet auch mit der Abwehr jeder Art von Fundamentalismus und Dogmatismus sowie des ausgrenzenden Nationalismus und der Anonymisierung des Einzelmenschen.

Ich habe immer ein bißchen Angst, wenn er nicht dichtet – wenn er profan redet, wenn er heftig raisonniert ohne die Zucht des Dichtens. Dann möchte – und kann – ich ihm zwar nicht widersprechen, denn was er sagt stimmt, aber ich möchte es erweitern, vertiefen, das Tragische, damit Abgründige der konkreten aktuellen Fehlleistungen herausarbeiten, von der verzweifelten Wut der Vereinfachung schützen. Aber dann denke ich an seine schönen Gedichte und habe keine Angst mehr um ihn, um seine geistige Redlichkeit.

 

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aneinander/ vorbeilügen/ mit der metapher/mit dem gedicht

 

Niemandem/ dürfen wir uns/ überantworten. Es ist an der Zeit,/ unser Mißtrauen/ in die Tat umzusetzen.

 

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Viele seiner Gedichte und Fotos legen Zeugnis ab für seinen nie endenden Schmerz über die im engsten Wortsinn unsäglichen Qualen namenlos gemachter, entrechteter, gefolterter, getöteter Menschen. Von der ohnmächtigen Verzweiflung über den wahrhaft bodenlosen Fall – Rückfall wäre das falsche Wort – der Menschheit. Diese Gedichte entstanden während Peter Paul Wiplingers unentwegten Aufsuchens von Konzentrationslagern, Gedenkstätten, Friedhöfen, Greuelorten, Stätten voll Kriegsspuren, Kriegserinnerungen, Kriegsleid. Auf die Frage ‚Was will er‘ kann man wirklich nur antworten: Einhaltloses Ringen mit diesem mörderischen Verfall unserer Gattung, deren tausende Jahre währender Aufstieg im Zeichen selbstbildender, selbstübersteigender, im weitesten Sinn sozialer Veredelung so hoffnungsstark begonnen hatte…

 

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nach Auschwitz kann man keine gedichte mehr machen/sagte Theodor Adorno Wiesengrund/…von Auschwitz reden muß heißen/die wirklichkeit des menschen zur sprache bringen

 

aber nichts bringt euch zurück/ ich spüre haß auf eure mörder

 

ich möchte ein gutes bild/ich möchte ein gutes gedicht/ich denke und sage im namen der wahrheit/und komme mir doch/ dabei schäbig und arm vor

 

MAUTHAUSEN / am schluß der gedenkstunde/wollen wir uns alle/ im einverständnis/ daß so etwas nie mehr/geschehen soll/die hände geben/ – alle stehen nun/schweigend da/die hände verschränkt/oder in den hosentaschen

 

auf jedes Wort verzichten/das gesicht/zur Wand drehen

 

die welt hat ihr gewicht/für dich verloren

 

in den augen/die blindheit/im herzen der zorn/in den füßen das wasser/in den händen das zittern

 

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Woher kommt das alles? Der Versuch einer geographischen Antwort lautet: Haslach an der Mühl, Oberösterreich, Seehöhe 531 m, im Jahr 1974 2631 Einwohner. Marktgemeinde, Marktrecht seit 1341, Pfarrkirche mit freistehendem, neugotisch umgebautem Turm; Schloß Lichtenau; Heimatmuseum im Alten Torturm; Webereifachmuseum. Aber diese geographische Antwort auf die Frage ‚Woher kommt das alles?‘ ist natürlich nur ein winziger Ansatz angesichts eines Geheimnisses. Für Peter Paul Wiplinger gilt, wie für jeden von uns auch, aber bei uns weniger subjektiv ausdokumentiert – daß bis zur Quelle hin nicht verfolgbare, aufschließbare Durchklingen des Urseins in der Person. Das Wort Person kann ja übersetzt werden mit ‚Das Durchklingende‘, ‚Das durchklingen Lassende‘. Die Frage bleibt: Wessen durchklingen? Der Klang, der Schub aus welcher Tonquelle wirkt aus der Person? Kein Zufall, daß Peter Paul Wiplingers Stufen der Wirklichkeitsannäherung von der angsterfüllten Kinderzeit während der braunen Barberei rings um sein Elternhaus, über Ministrantendienst, Versehgänge, über frühe Frömmigkeit zu Widerstand gegen schulische Unterdrückung und spätere Ablehnung jeglichen dogmatischen Formalismus führte um letztlich im Existenzialismus französischer Prägung nach Sartre, Camus die der eigenen Lebenserfahrung entsprechende Philosophie zu erkennen.

 

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in segmente geschnitten/alles woran ich geglaubt

 

kein wort mehr sagen/keine zeile mehr schreiben/am besten wäre es/du wärest nie gewesen

Übung: von zeit/zu zeit/die sichel/schwingen/nahe am hals

 

 

der himmel/und die erde saugen/die letzte Hoffnung/von meinem angesicht

 

ich betrete den weg auf dem/mir mein schatten vorauseilt

 

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Was freilich nichts daran ändert, daß zu seinen Hegemonika der Lektüre das Buch „Christus in Dachau“ zählt, dessen Untertitel lautet „Christus, der Sieger, ein kirchengeschichtliches Zeugnis“ von Johann Maria Lenz. Dachau war auch das Priesterzentral-KZ, in dem 2720 Geistliche aus 134 Diözesen und 24 Nationen gepeinigt wurden, 1034 von ihnen bis zum Tod. Freilich Pater Lenz mußte aus dem Jesuitenorden austreten um in den 1950-er Jahren dieses Dokumentationsbuch zu veröffentlichen, weil es damals nicht in die salvierende pastorale Strategie seiner Oberen paßte. Pater Lenz wirkte bis zu seinem einsamen Tod als kleiner Einsegnungspriester auf dem Wiener Zentralfriedhof. Einzelne schriftstellerische Schwächen dieses Berichts erhöhen noch die Glaubwürdigkeit der authentisch geschilderten unfaßbaren faschistischen Verbrechen, aber mehr noch die heiligmäßigen Zeugnisse der Opfer.- Umso schmerzhafter, ja herzerreissend ist die diesem Buch beigestellte große Dokumentation des Faschismus im Balkan, der sich über weite Strecken der Zustimmung eben dieser Kirche sicher sein konnte.

Peter Paul Wiplinger hat seinem durch Interesse und Studium ohnehin riesigem Bildungsapparat ein breites Spezialwissen der schockierenden Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts beigefügt. Und jede seiner Wortmeldungen ist von genau recherchierter und zutiefst verletzender Detailkenntnis getrieben – ich sage getrieben, nicht nur belegt. Das sowieso.

 

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was schreiben – was tun/das ist die frage/nach alldem was geschehen ist/inmitten von all dem was geschieht/…nicht immer nur denken so denke ich/nicht immer nur reden so sage ich/was handeln was reden was denken was schreiben was tun/…ich weiß nur eines – schreiben allein ist zuwenig/handeln ist nötig doch weiß ich nicht – wie

 

RUGOVA: immer sprachst du/ nur ganz leise/immer warst du/gegen jede gewalt/aber kann man sich/mit gewaltlosigkeit/wirklich gegen gewalt/verteidigen/fragte ich/das boot brachte uns/hinüber ans andere ufer/langsam stiegen wir die stufen hinauf/wie zerbrechlich/der mensch ist/dachte ich und/wie antwortlos

 

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Noch einmal: Woher kommt das alles?

Im Jahr 2003 ist das erste große Prosabuch von Peter Paul Wiplinger erschienen: „Lebensbilder – Geschichten aus der Erinnerung“

Ich nenne es: Haslachs Herzens Herz. Das kam so:

Vor einigen Jahren traf ich oft im Vorstand des P.E.N.-Clubs Peter Paul Wiplinger, lernte ihn als hochengagierten Vertreter von Kollegeninteressen schätzen. Seine humanitär fordernden Gedichte paßten ins Bild des kantigen Feuerkopfs. Somit war dieser Schriftsteller einzuordnen.

Viele Jahre vorher bestellte ich als nach schwerer Operation geheilt zu entlassender Patient bei den Barmherzigen Brüdern deren Zeitschrift „Granatapfel“; im August 2001 entdeckte ich dort erstaunt das gefühlvolle Prosastück „Die Fanni“ von Peter Paul Wiplinger. Als ich ihn anrief, ihm zu diesem schönen Text gratulierte, sagte er zuerst wie beschämt, er war immer der Meinung, daß er nicht Prosa schreiben könne, berichtete dann aber von seinem Plan für das Buch „Lebensbilder“.

Das Bild des Literaturaktivisten war also gehörig zu ergänzen: Peter Paul Wiplinger erwies sich in den 45 Kapiteln seines Prosawerks als liebevoller, ja zärtlicher, warmherziger Kenner, Nacherzähler und Auferwecker von 34 unvergeßlichen Menschen, denen er zeitlos gültige Portraits gewidmet hat. 11 weitere Kapitel lassen in aller Farbigkeit und Tiefe das Leben der Gemeinschaft in Wiplingers Herkunftsort des Mühlviertels am Böhmerwald erstehen.

Wiplinger wendet keinen erzähltechnischen Kunstgriff an, vollzieht weder sprachliche noch erkenntnistheoretische Experimente. Er arbeitet mit dem Wortschatz des praktizierenden Lyrikers. Die Lehrerin, der Gastwirt, die Textilarbeiterin, der Uhrmacher, der Schuster, der Priester, die Fleischhauerin, die geistig Behinderte, der Mechniker – die Portraits sind unsere Schule des Sehens.

Der sonst offensiv analytische Lyriker bietet auf 230 Seiten die Schilderung persönlicher Prüfungen ohne artifizielles Kalkül, ohne narrative Strategie, wortrein, lebenswahr. Wiplinger öffnet hier seine bisher selbst in Gedichten verborgen gebliebene weiche Seele.

Der 2001 erschienene literaturtheoretische Band von Walter Grond „Vom neuen Erzählen“, Haymonverlag, enthält folgende Aussage: „Wenn realistisches Schreiben nicht mehr für gut befunden, wenn Ironisierung empfohlen wird, dann kann (passieren), daß Autoren sich diese Schreibweise aneignen, (nur)um dem Konsens zu entsprechen. … Eine Kunstvorstellung, die sich andauernd aus der eigenen Etablierung heraus selbst einsetzt… Weltliteratur ist eine spezifische Fähigkeit, zwischen den Menschen einen Dialog zu schaffen. Es ist ein faszinierender Umstand, daß eine Inderin ein Buch über ein Dorf schreibt, das auf der ganzen Welt verstanden werden kann, eben weil ihr Schreiben von der Sehnsucht nach Weltkultur geprägt ist. Der Hochleistungsdichtung… haftet dagegen etwas Provinzielles an.“ – Setzen wir legitim statt „eine Inderin“ den Ausdruck „ein Haslacher“, dann besitzen wir genau die Qualifizierung dessen, was Peter Paul Wiplinger mit seinem Haslach-Buch „Lebensbilder“ vorlegt. Wenige Autoren haben mit ihrer Schreibleistung ihre „Sehnsucht nach Weltkultur“ so belegt wie er.

 

Schlußabschnitt: Wofür kann ich Dir, Peter Paul Wiplinger, also heute an Deinem großen Ehrentag danken? Und vor allem: Wie kann ich Dir danken? Lieber Peter Paul: Du bist nicht einsam! Deine oftmaligen Klagen hierüber ehren Dich. Sie beweisen zweifelsfrei die Lebensbedingung des Strebenden, des Selbstkritischen, des professionell illusionslosen Menschen. Einsamkeitserfahrung ist die condition humaine, ist damit aber auch Voraussetzung für jenes universelle Mitleid, das überhaupt der Anfang jeder Kultur, Humanität, Nächstenliebe ist.

 

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liebesgedicht: erinnerung an dich/wie augenschmerz

 

aus der liebe wächst/steinern der schmerz

 

wieder zurück/in diesem wien/wo alles nur stirbt/außer kindheitsängsten und erinnerung an nicht-reden/und immer kalt und nie ein geld

 

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Lass‘ Dir also heute zurufen: Du bist nicht einsam. Die hundertfältige Freundschaft, die sich aus Deinen Gedichten ablesen läßt, rund um die Welt, die vielen Übersetzungen Deiner Werke in Freundes-Sprachen, Dein Eingeladensein zu Lesereisen, Deine anerkannten Leistungen in Schriftellervereinigungen und die Zuneigung der Kollegen – das alles unterstützt meine vorige Aussage. Ich muß an Deine massiven Sammel- und Hilfsaktionen während des letzten Balkankriegs erinnern, als du selbst vor Ort Not gelindert hast.

Und ein ganz besonderes Argument, daß du nicht einsam bist, konnte ich mir bis hierher aufbewahren:

Am 23.9.1985 hast Du in Rosegg/Rozek an Deine liebe Partnerin, Frau Susanne Nowak gedacht und ihr ein Gedicht mit der Zeile gewidmet: „in der kirche drüben/brennt still das licht/einer kerze für dich“

Es macht mich glücklich, daß Du zu einem solchen warmen unmittelbaren Wort für diesen Dir so treuen Menschen gefunden hast. In unserem Sinn brennt heute auch eine Kerze des respektvollen Danks für sie.

Ich möchte den Versuch unternehmen, Dein mir jetzt zur Gänze vorliegendes Werk bis heute durch die Auslegung eines Schlüsselbegriffs zu charakterisieren, zu erschließen – und Dir damit die höchste Verehrung zollen für Deine nicht endenden Schreie vor grauenhaft zerstörter Menschenwürde: Die Theologie kennt den Begriff ‚Mysterium iniquitatis‘, das Geheimnis des Bösen, des Bösartigen. Deshalb Geheimnis, weil es rational angesichts der selbstbehauptenden Intelligenz sowie dispositiven Fähigkeiten der Menschheit eigentlich völlig unerklärlich ist. Das Böse hat keine Eigenwirklichkeit, sondern die rational unerklärbare, somit geheimnisvolle Möglichkeit, den offenkundigen Sinn der Geschöpflichkeit zu übersehen, zurückzuweisen, den hinter der personalen Freiheit stehenden Anruf zu überhören, abzulehnen, und in diesem Mißverhältnis, in dieser Bösartigkeit zu verharren. Bosheit ist die Einstellung menschlichen Wollens, die das Böse nicht aus menschlicher Schwäche, Unwissenheit, Blindheit, Willensschwäche sucht, sondern mehr um seiner selbst willen, mit Überlegung, Entschlossenheit, Heimtücke, Unbarmherzigkeit, Verachtung. Für den Antrieb zur Bösartigkeit, zumal zur perfektionierten, technisierten, kontinentweit organisierten, individuell und gattungsmäßig tödlichen Bösartigkeit gibt es keine vernünftige, d.h. menschengerechte Erklärung. Daher kommen höchstqualifizierte Denker zu dem Begriff ‚Mysterium iniquitatis‘ – Das Geheimnis der Unbilligkeit, Ungerechtigkeit. Ich glaube nun, lieber Peter Paul, daß Du mit Deinem Engagement, mit Deinem jahrzehntelangen körperlichen Aufsuchen aller himmelschreienden Unrechtsorte dieser Erde und mit Deinen dichterischen Klagen und Wortschöpfungen und Aufrufen eigentlich Dein Leben lang dieses ebenso unerträgliche wie unüberwindbare Mysterium umkreist – und beweinst. Daß Du gekennzeichnet bist davon, mit dem Schmerz im unwegblendbaren Anblick dieses schicksalbestimmenden Mysteriums iniquitatis leben zu müssen. Wie gebannt mußt Du das Unrecht anschauen. Dieser Fixierung opferst Du nicht nur Dein bürgerliches Erfolgsleben – denn das ist evident – Du opferst diesem Daueranblick des Bösen auch jene letzte künstlerische Vollendung, die Deinem im Grund so gutmütigen, barmherzigen, zustimmungsfähigen, warmen Wesen entspräche.

 

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wir sind von allem spur/ sind immer nur/ ein teil

von teilen

 

aufwachen/im brennpunkt/ in der nähe des wahnsinns

 

langsam die augen/ an die dunkelheit gewöhnen

 

Von den Wänden/tropft langsam die Zeit.

 

Heimkehren, denke ich,/das wäre gut für mich;/aber ich weiß nicht wohin.

 

Ich bin verstummt/und neige still/mein Angesicht/der Erde zu

und fast/ möchte ich/nicht mehr leben

 

lächeln aufgesetzt/für einen blinden

 

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Peter Paul, Du bist nie bereit gewesen, Deine hohe Intelligenz für strategische Konzepte einzusetzen. Du bist nicht bereit um zwei oder drei oder vier Ecken herum zu denken. Wo es um unmittelbar anstehende, augenscheinliche Fakten, moralische, soziale, demokratiepolitische und Menschenrechtsfragen geht, hast Du Dich nicht bereit gefunden, kurial verklausuliert oder selbstschonend abstrahiert oder in indirekten Metaphern oder nach dem Muster eines Billard-Spiels durch indirekte Schrägstöße zu reagieren. Nein, Du hast Dich immer physisch und psychisch schutzlos Deiner Beobachtung und Deinem Zorn gemäß exponiert. Du hast auch den Preis dafür bezahlt, wissentlich, vielfach gewarnt. Ich habe nicht zufällig auch physisch gesagt, denn Du hast wahrlich für diese Furchtlosigkeit teuer bezahlt. Ich sage nur 5 biographische Stichwörter: 6 Jahre Tankwart ohne Pensionsversicherung; Opfer antifaschisticher Haltung an der Hochschule; 3 Jahre Nachtportier, scharfer Betriebsrat; Arbeitsnothilfe, Familienbeistand im elterlichen Betrieb Haslach; 5 Jahre Galeriedirektor und Kunstzeitschriftchef; Bruch wegen geistig-moralischer Gegensätze.

In Deiner wirklich bedingungslosen Unrechtskritik kann man Dir objektiv kaum widersprechen, weil – wie schon erwähnt – Du für Deine Positionen stets authentische Belege hast. Dennoch – um ein Beispiel zu nennen – die Gleichstellung Adolf Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz mit dem Papst auf dem römischen Petersplatz ist für mich eine Scharfsinnherausforderung. Aber ich anerkenne und würdige Deine Zuspitzungen. So wie ich den Großglockner anerkenne ohne ihn zu erklimmen, als möglichen Richtwert, als bedenkenswerte Möglichkeit, als Mahnung an genaue Wahrnehmungspflicht, als einen objektiv gegebenen Gebirgsgipfel samt Gipfelkreuz.

Das nämlich, dieses herausfordernde Gipfelkreuz symbolisiert das Ehrenkreuz, das Dir unser Staat heute verleiht. Das Zeichen, die öffentliche Auszeichnung, damit das, das uns so nottut und das uns so guttut, nämlich einen Mitmenschen von Deiner humanitären Unmittelbarkeit und Bedingungslosigkeit und Pragmatik zu haben, zu rezipieren, zu beobachten, von der Allgemeinheit gebührend anerkannt zu sehen. Von einer Allgemeinheit zumal, die Dich vielleicht nicht kennt, die Deine Bilder nicht meditiert und Deine Gedichte nicht studiert hat, aber die indirekt durch Deinen Einfluß auf das ethische und ästhetische Großklima, durch Dein Einwirken auf Verhaltensweisen von Schriftstellerverbänden und vor allem durch Deinen Einfluß auf positiv wirkende Leser und Nahestehende indirekt in den Genuß Deines Einsatzes kommen durch die allgemeine Lebensqualität, der ja soviel reflektorische, selektive Leistung der Allerbesten vorausgeht. Eine Leistung, für die Du, Dein ganzes Leben, Dein ganzes Werk stehen.

Denn das künftige Land, der künftige Ort, die künftige Gesellschaft, der künftige Zeitgeist, für die Du kämpfst, denen gilt wirklich unser aller Sehnsucht. Diese aktuelle Unerfüllbarkeit – von Dir erschütternd beklagt – treibt und veredelt und diszipliniert und kräftigt uns. Danke für diese Kraft. Danke für Deine Kraft.

 

Und jetzt kommt der schriftlich erwünschte Händedruck.